«Wann fangen wir eigentlich mit dem Theater an?»
Die Frage eines Jungen in einer fünften Klasse im März 2017 bringt mich aus dem Konzept. Gemäss meinem Verständnis machen wir seit drei Monaten Theater. Der Junge schien bisher immer Spass zu haben an den Inhalten und konnte schon sehr vieles ausprobieren. Die Mutter erzählt, er komme gerne. Er wirkt auch jetzt nicht unmotiviert, die Frage stellt er mir beim Verabschieden und eher nebenbei. Meine Antwort, dass wir ja schon seit drei Monaten Theater machen würden, nimmt er zur Kenntnis. Ich denke über die Frage nach und will bei der nächsten Probe von ihm wissen, was er sich denn vorgestellt hat. «Etwas Anderes halt. Aber das hier macht auch Spass.» Was das Andere ist, kann er mir nicht sagen, zumindest nicht so, dass ich es verstehe. Ihm scheint sein Anliegen aber nicht mehr so wichtig und wir belassen es dabei.
«Ich habe mich drei Jahre lang auf das Theater gefreut und jetzt habe ich schon keine Lust mehr.»
Diese Aussage stammt von einer Sechstklässlerin eines Schulhauses in Zürich, Juni 2019. Ich habe gerade meine beiden Ideen für das knapp viertägige Theaterprojekt vorgestellt, die beide stark auf performative Elemente setzen und auf die Reflexion der Schulerfahrung. Ich halte diese Ideen angesichts der kurzen Zeit, die uns zur Erarbeitung bleibt, für eine sinnvolle Lösung. Und erfahre massiven Widerstand. Nicht nur von der zitierten Schülerin sondern von der ganzen Mädchengruppe. Ich gehe auf die Bedürfnisse ein und lasse sie die Figuren spielen, die sie im Kopf haben. Es ist kurz vor den Sommerferien, heiss, wir haben nur vier Tage und kaum räumliche Ressourcen. Die beiden Lehrpersonen sind zufrieden, wenn es läuft und sie keinen zusätzlichen Aufwand haben. Kurz vor der Aufführung erzählen sie mir begeistert, sie hätten mich schon für das nächste Projekt gebucht. Ich flüchte nach der Aufführung nach Hause und bin mir sicher: So schlecht habe ich noch nie gearbeitet.
«Wir erfinden, entwickeln und bauen einen Roboter, der dich im Unterricht perfekt vertritt.»
Dieser Satz steht am Ende meines Informationszettels zu meinem Masterprojekt. Ich sage ihn so oder ähnlich auch vor den vier 5. Klassen in den zwei Stadtzürcher Schulhäusern, in denen ich im März 2018 mein Projekt vorstelle. Ich mache meinen Master allerdings nicht an der ETH in Robotik, sondern an der ZHdK in Theaterpädagogik. Dass es sich bei meinem Projekt um Theater handelt, erwähne ich nicht. Auch im späteren Verlauf des Prozesses nicht. Statt von Proben spreche ich von Treffen, statt Aufführungen von Präsentationen. Tatsächlich verschweige ich die Tatsache, dass es sich um Theater handelt so erfolgreich, dass ein Elternpaar erst mit der Einladung durch den dazugehörigen Flyer zu verstehen scheint, dass ihr Sohn an einem Theaterprojekt und nicht an einem Roboterbaukurs teilgenommen hat. Die Frage, wann wir denn jetzt mit dem Theater anfangen würden, kommt während dem Prozess kein einziges Mal. Wann wir den Roboter bauen würden allerdings schon.