Beim Zeichnen lerne ich nicht nur Zeichnen, ich lerne auch auf die Welt zu schauen, bestimmte Dinge zu sehen und andere nicht zu sehen, sie in einer bestimmten Art und Weise zu abstrahieren und weiterzudenken – mich also auf eine bestimmte Art und Weise mit der Welt in Beziehung zu setzen. Aus der Praxis des Zeichnens entstehen Denkräume und Handlungsmöglichkeiten. Die Zeichnung ist dabei ein Werkzeug des Denkens und Handelns, aber immer auch ein Übungsfeld für ein spezifisches Denken und Handeln. Diese Masterarbeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werfe ich einen Blick zurück auf die „Disegno-Theorien“, die im 16. Jahrhundert in Florenz entstanden sind und auf die eine oder andere Weise über fünfhundert Jahre Zeichenlehre institutionalisiert wurden. Inwiefern hat diese Konzeption von Zeichnung, die auf Abstraktion, Ordnung und Planung ausgerichtet ist, einen sachherrschaftlichen Weltzugang einzuüben geholfen, der die Verfügbarkeit von Welt voraussetzt? Der zweite Teil besteht aus drei Essays, in denen ich die Erfordernisse einer kapitalistischen Gesellschaft durch ein anderes Prinzip zu ersetzen versuche – die Beziehung. Wie lassen sich über die Zeichnung (Welt-)Beziehungen erleben, die nicht sachherrschaftlich sind? Und wie könnte ein Zeichenunterricht aussehen, der sich aus einer radikalen Beziehungsperspektive heraus entwickelt? Beziehung zur Welt (“Zeichnen als Weltbezeugung/Welterzeugung”), zu sich selbst (“Zeichnen als Körperzustand”) und zueinander (“Zeichnen als Selbstverortung”).