Im vergangenen Jahr war ich als Schauspielstudentin für zehn Monate am Theater Chemnitz engagiert. Im August, zu Beginn der neuen Spielzeit, nahm ich dort meine Tätigkeit im Schauspielstudio auf. Zeitlich fiel dies zusammen mit den rechtsradikalen Ausschreitungen in der Stadt, über die in den kommenden Monaten in den Medien ausführlich berichtet wurde und die Chemnitz bis auf Weiteres einen Ruf als grau-braune Hochburg des Rechtsextremismus verliehen. Die nun regelmäßig stattfindenden Großdemonstrationen von Rechtsextremen aus ganz Ostdeutschland und der Bundesrepublik zogen eine große Menge von Sympathisanten an, brachte aber auch ein von der Gegenseite initiiertes mediales Großereignis hervor. Unter dem Motto #wirsindmehr! demonstrierten rund 65.000 Konzertbesucher, die aus ganz Deutschland anreisten, zur Musik von Feine Sahne Fischfilet, Kraftclub, Materia, K.I.Z und den Toten Hosen u.a. Auf eine positive mediale Außenwirkung ist Chemnitz derzeit angewiesen, da sich die Stadt um den Titel der Kulturhauptstadt 2020 bewirbt. Bei der Eröffnung des Konzerts sprachen die Veranstalter vom Kulturmanagement der Stadt, zwei junge Frauen von der Antifa Chemnitz, wie auch die KünstlerInnen selbst.
Inhaltlich erschienen diese gesprochenen Beiträge jedoch schmal und beschränkten sich darauf zu betonen, dass Chemnitz nicht braun sei und gegen rechts zusammenhalten werde. Allenfalls gaben die Vertreterinnen der AntiFa ein wenig marxistische Didaktik dazu. Für die Veranstaltung, die innert weniger Tage auf die Beine gestellt worden war, genügte offenbar ein einfaches Motto, was nicht oft genug wiederholt werden konnte. Auch in anderen Städten erwies sich „wir sind mehr!“ als leicht zu adaptierende Haltung. In Berlin und Münster fanden unter demselben Motto Folgeveranstaltungen statt, die gleichfalls Zuspruch bei denjenigen fand, die auf jeden Fall nicht rechts sind. In Chemnitz wurde das Konzert einstimmig mit „You will never walk alone!“ beschlossen, gemeinsam gesungen von den KünstlerInnen und dem
Publikum, und stellte so eine Stimmung der Eintracht her, eine Verbindlichkeit, wie man Sie sonst von Fußballspielen kennt. „Wir sind mehr“ scheint eine Überschrift zu sein, unter der man sich gerne zusammenfindet um ein bisschen politisch, dabei, dagegen und eben mehr gewesen zu sein.