In dieser Arbeit erörtere ich den Begriff der Gewalt, insbesondere die Ästhetisierung von Gewalt in der Kunst und im Theater. Zunächst war es mir ein Anliegen, für meine geplante Diplom-Inszenierung zu recherchieren. Für diese Inszenierung habe ich mir aus verschiedenen Gründen den Roman «Lolita» von Vladimir Nabokov ausgewählt; ich würde gerne herausfinden, wie ich ein literarisches Format für die Bühne übersetzen kann, zumal ein Format, das sich durch seine sprachliche Qualität auszeichnet. Natürlich interessiert mich auch der Umgang mit einem tabuisierten Sujet wie Kindesmissbrauch, wie es dort ganz
ausdrücklich zur Sprache gebracht und verhandelt wird.
Der Roman hat aber nicht nur aufgrund des Tabubruchs so viel Erfolg eingebracht, sondern vor allem weil es Nabokov über die verführerische bildreiche und poetische Erzählweise gelingt, Mitgefühl mit dem Täter und Ich-Erzähler Humbert Humbert zu erwecken. So sehr man sich dem verwehrt und natürlich jederzeit bewusst sagen könnte, dass der Protagonist schlichtweg ein gewissenloser Verbrecher ist, befindet man sich im Leseprozess doch in einer Ambivalenz der Haltung, da es dem Erzähler immer wieder gelingt, sein Begehren als hilflose und romantische Liebe auszugeben. So wird der Leser automatisch zum Komplizen aller Taten, die Humbert an der 12-jährigen Dolores Haze vollzieht, zunächst der psychischen Gewalt in Form von Drangsalierung, Manipulation und Übermächtigung, schließlich der Taten physischer Gewalt, die eine Intoxikation durch Betäubungsmittel und immer entgrenztere sexuelle Übergriffe beinhalten. Möchte man diese Romananlage also für die Bühne übersetzen, stellen sich jede Menge Fragen der Ethik, des Geschmacks, der Repräsentation von Tätern und Opfern, und Fragen nach der Darstellung von Gewalt im Theater.