Die Tätigkeitsbereiche und Behandlungsmethoden in der Medizin und Psychiatrie vergangener Jahrhunderte mögen uns heute faszinieren, befremden, vielleicht abstossen und brutal erscheinen. Für frühere Generationen waren sie normal; es gab nichts anderes. Mit unserer Diplomarbeit, die in enger Zusammenarbeit mit dem Historiker und Journalisten Willi Wottreng entstanden ist, wollen wir einen Einblick in die Zürcher Medizingeschichte der verschiedenen Jahrhunderte gewähren. Es handelt sich um eine Vorarbeit für ein Buchprojekt.
Medizingeschichte bietet ein besonderes Problem: Sie liegt an der Schnittstelle von Naturgeschichte und Sozialgeschichte. Sie besteht nicht nur aus Erkrankungen von Organen einerseits und Heilmethoden andererseits, sondern auch aus handelnden Menschen, Ideen und Wertvorstellungen. Es wäre also unzureichend, nur körperliche Symptome oder Medizinisches Gerät zu zeigen, es muss das ganze historische Klima einbezogen werden. Wir haben versucht, dem Problem durch die Bildsprache gerecht zu werden. Wir haben die präzise Überlieferung von Gegenständen und Berichten mit einem persönlichen und intuitiven Zugang kombiniert, um beim Betrachten auch Assoziationen und Gefühle auszulösen. Wir haben gelegentlich das rein Medizinische auch in den Hintergrund gerückt, um dem sozialen Zusammenhang Raum zu geben. Damit wollten wir gleichzeitig die aus heutiger Sicht zum Teil brutalen Behandlungsmethoden so weit als möglich in einer erträglichen Form darstellen.
Wir haben uns um Wissenschaftlichkeit bemüht, wie sie dem Verständnis des Historikers Willi Wottreng entspricht, der betont, dass Mentalitäten in einer bestimmten Epoche genau so prägend sind wie die Entwicklung bestimmter Techniken. So gehört zur mittelalterlichen Krankenpflege das Klosterleben, zur frühen Zahnpflege der öffentliche Marktplatz, zur Psychiatrie die Entdeckung des Subjektiven. Was wir nicht beanspruchen, ist Vollständigkeit. Wir haben den Zeitraum von 1300 bis 1800 in sechs Jahrhundertschritte aufgeteilt und für jedes Jahrhundert eine herausragende medizingeschichtliche Thematik herausgegriffen. Anhand des sozialen Szenenbildes, technischer Erklärungszeichnungen, der Lokalisierung der Schauplätze und erläuternder Texte soll dieses jeweils veranschaulicht werden. Gerne hätten wir weitere Themen behandelt: Die Pestzeiten, die Geburtshilfe und die Kräutermedizin, die Philosophie der vier Säfte, oder die konkrete Gestalt der wichtigsten Zürcher Spitäler und Asyle. Der Arbeitsprozess war ein allmähliches Hineinwachsen in eine riesige Materialfülle, die wir schon früh in Skizzen zu konkretisieren versuchten. Je mehr sich die Hauptthemen herauskristallisierten, umso mehr entwickelten sich die ersten, noch eher konventionellen Bilder weiter: sowohl in Richtung der historischen Atmosphäre, so wie der instrumentengeschichtlichen Präzision. Gleichzeitig bildet sich auch das Konzept des zeitlichen Rasters heraus, der die Arbeit strukturiert und einen Gesamtüberblick ermöglichen soll. Als Unterlagen dienten uns sowohl medizinische Sachbücher wie kulturgeschichtliche Literatur; Besucher im Medizinhistorischen Museum und in der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli ergänzten die Studien. Die zeichnerische Herausforderung bestand in der Verbindung von Genauigkeit in der Rekonstruktion von Einzelobjekten mit der Ungenauigkeit und Offenheit, die stets in der Interpretation geschichtlicher Geschehnisse und Situationen liegt.