Meine Masterarbeit bewegt sich innerhalb einer spezifischen Lücke in meiner Familiengeschichte, sie kreist um die unbekannte Biografie meines Urgrossvaters, um die damit zusammenhängenden Zuschreibungen von aussen und mein Unbehagen. Blicke, Darstellungen, Umschreibungen und Machtverhältnisse. Fragen die mich auch im Umgang mit Bildern, in Bezug auf mein Kunstschaffen und meine Arbeit in der Kunstvermittlung, beschäftigen. Ich versuche mich, über eine künstlerische Recherche und Bildanalysen, einer Geschichte meiner Familie anzunähern, versuche identitätsstiftende Geschichten und Erklärungen zu finden.
Ich weiche von der Unmöglichkeit (meinen Urgrossvater zu finden) auf seinen Sohn aus, schreibe über mich selbst, über meine Urgrossmutter und über die tirailleurs sénégalais, zu denen mein Urgrossvater gehört(e).1 Existierende Geschichten handeln nicht von ihm und trotzdem versuche ich über meinen Urgrossvater zu schreiben, streife seine Person und Biografie über stellvertretende Personen, Eigenschaften und Darstellungen. «In writing at the limit of the unspeakable and the unknown, the essay mimes the violence of the archive and attempts to redress it by describing as fully as possible the conditions that determine the appearance […] and that dictate […] silence.» (Hartmann 2008, 1)
Die persönliche Lücke wird über kollektive und strukturelle Dimensionen erweitert (geschmälert). Das Familienarchiv bildet einen Grundstein der Arbeit: Gespräche mit meinem Grossvater, Erinnerungsfragmente, Erzählungen, Andeutungen, Vermutungen, Fotoalben. Diese verflechte ich mit historischen Archiven zu den tirailleurs sénégalais, die Verbindung schafft ein koloniales und postkoloniales Bildarchiv, das ich kritisch diskutiere und kontextualisiere.
Ich stecke im Hauptteil meiner Arbeit kursierende Darstellungen der senegalesischen2 Infanteristen in verschiedenen Kontexten ab, mit dem Ziel mich der gesellschaftlichen Wahrnehmung meines Urgrossvaters, in seiner Funktion als Kolonialsoldat, aus diversen Perspektiven und unter Einbezug der Zeitlichkeit anzunähern. Dabei beziehe ich mich auf die Differenzierung von Bildern als materielle Entitäten oder Abbilder (pictures) und immateriellen, mentalen Bildern (images) im englischen Sprachgebrauch (Mitchell und Frank 2008, 10 - 16).
Wie und zu welchem Zweck wurden immaterielle Bilder der tirailleurs konstruiert? Welche pictures gibt es und in welchem Zusammenhang entstanden diese materiellen Bilder der Soldaten, die mir auf meiner Recherche begegnen? Mit welchem Fokus blicke ich auf die Menschen, die Personen? Welche Gewalt steckt hinter Fotografien, wer hat abgedrückt?
«Vision is always a question of the power to see and perhaps of the violence implicit in our visualizing practices. With whose blood were my eyes crafted?» (Haraway 1988, 586)
Meine künstlerische Arbeit tritt in diesen Raum von Auslassungen und Schweigen, füllt ihn mit spekulativen, fabulierenden Narrativen, schafft einen produktiven Umgang mit Lücken sowohl im historischen als auch im individuellen Kontext. Intergenerationale, kollektive und persönliche Bilder verbinden sich in einer Aneignung und Rekonstruktion zu meinem Flickwerk.
«Loss gives rise to longing, and in these circumstances, it would not be far-fetched to consider stories as a form of compensation or even as reparations, perhaps the only kind we will ever receive.» (Hartmann 2008, 4)
1Theoretisch könnte mein Urgrossvater noch leben, weshalb ich Präsenz und Vergangenheitsform stehenlasse.
2Begriffe in verblasster Schrift sollen nicht oder nur, als Selbstbezeichnung verwendet werden oder lösen bei mir persönlich ein Unbehagen aus, dass ich in meiner Arbeit mit Fussnoten kommentiere
Meine Masterarbeit bewegt sich innerhalb einer spezifischen Lücke in meiner Familiengeschichte, sie kreist um die unbekannte Biografie meines Urgrossvaters, um die damit zusammenhängenden Zuschreibungen von aussen und mein Unbehagen. Blicke, Darstellungen, Umschreibungen und Machtverhältnisse.