Der Kunstvermittler Raafat Hattab bei seiner Führung durch die Sammlungs-ausstellung “Remotely Related. The Museum Presents Itself» im Tel Aviv Museum of Art
Die Studienreise des Master Art Education Curatorial Studies nach Israel setzte sich mit Gedenkorten, Ausstellungen, Sammlungen, künstlerischen Positionen und Stadtprojekten auseinander und ging dabei der Frage nach, welche Rolle diese Orte, ihre Konzeption und Formate in Bezug auf die «kulturellen Identitäten» in Israel spielen. Das dichte Programm, das am 7. April in Jerusalem begann und am 15. April in Tel Aviv endete, bot dazu ein aussergewöhnliches Erfahrungsfeld. Der folgende Bericht geht auf drei Programmpunkte ein: (1) die Internationale Gedenkstätte Yad Yashem; (2) die Dauerausstellung «Israeli Art» im The Israel Museum; und (3) das Vermittlungsprojekt «Art Road to Peace» im Tel Aviv Museum of Art.
«Identität ist eine Erzählung vom Selbst (narrative); sie ist die Geschichte (story),
die wir uns vom Selbst erzählen, um zu erfahren, wer wir sind.»
Stuart Hall, in «Ethnizität: Identität und Differenz», 1999, S. 94
Gerade Gedenkorte oder Sammlungen, wie wir sie in Israel besuchten, sind an der Produktion und Herstellung von Identität in speziellem Masse beteiligt, da sie gewisse Erzählungen hervorheben und andere vernachlässigen oder sogar bewusst auslassen. Erzählungen sind an Erinnerung geknüpft und Erinnerung ist von besonderer Bedeutung für Identität und Integrität. Ob wir jemanden oder etwas erinnern, ist oft ein Zeichen dafür, ob uns eine Person oder Sache wichtig ist und wir uns um sie sorgen. Um so wichtiger war es, die verschiedenen Orte, die in Israel an dieser Bedeutungsproduktion beteiligt sind, selbst zu besuchen, mit involvierten Personen zu sprechen und als Gruppe – bestehend aus sieben Studierenden im Abschlussjahr und drei Begleitpersonen – über das Erlebte zu reflektieren. Doch selbst dann blieb die Frage nach «kulturellen Identitäten» äusserst anspruchsvoll, denn sie setzte einen gewissen Kenntnisstand in Bezug auf Israels konfliktreiche Geschichte, dessen heterogene Einwohnerstruktur und geografische Lage voraus. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren wir sehr dankbar, dass die Reise gemeinsam mit dem Rabbiner Drs Edward van Voolen erarbeitet und durchgeführt wurde. Als Direktoriumsmitglied des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam und als ehemaliger Kurator am Jüdischen Historischen Museum Amsterdam hat er zahlreiche Ausstellungen entwickelt und zu jüdischer Kunst, Kultur und Identität publiziert. In den Gesprächen wies er uns immer wieder auf unterschiedliche jüdische Identitätsentwürfe und ihren Wandel hin. Die Diskussion über museologische, kuratorische und vermittlerische Fragen wurde von der Leiterin des Master Art Education Curatorial Studies Prof. Angeli Sachs bereichert.
Braucht Erinnerung einen Ort?
Yad Vashem und das Holocaust History Museum
Der Tag nach der Anreise begann in der Strassenbahn, die quer durch Jerusalem führt und ausserhalb der Stadt am «Har Herzl» endet. «Har» bedeutet auf hebräisch Berg und «Har Herzl» verweist auf den berühmten Zionisten Theodor Herzl (1860-1903). Herzl hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Idee eines eigenen Staates für alle Jüdinnen und Juden, die irgendwo auf der Welt unter Druck stehen oder verfolgt werden. Bis heute prägen die Werte der zionistischen Idee die Debatte über das Selbstverständnis des Staates Israel. Auf dem «Har Herzl» befinden sich der Nationalfriedhof und mehrere Gedenkstätten, neben dem Grab Theodor Herzls (sein Leichnam wurde 1949 aus Wien geholt und hier neu beigesetzt) vor allem für jüdische Soldaten, die für die Unabhängigkeit Israels gekämpft haben. Eine Besonderheit bezüglich «Identität» ist der sogenannte «Connections Path» der zwischen dem Har Herzl und der Internationalen Gedenkstätte Yad Vashem verläuft. Auf einer Anzeigetafel wird der Weg folgendermassen beschrieben:
«The path leading from Yad Vashem to Har Herzl links the Holocaust commemoration site with the military cemetery, the national leaders burial site and Herzl’s grave. […] Passage along it is a symbolic voyage in time from Diaspora to the homeland of the Jewish people, from exile and destruction to a life of endeavor and hope in the State of Israel.»
Der eher unscheinbare und leicht zu begehende Weg entpuppte sich als begehbarer Zeitstrahl von der Zeit der Diaspora bis zur Staatsgründung Israels im Jahr 1948. Der Holocaust in Europa nimmt in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle ein, denn er gab der zionistischen Idee weltweit Legitimität und beschleunigte ihre Umsetzung. Vom «Har Herzl» kommend liefen wir die Zeit rückwärts in Richtung Yad Vashem, auf dem westlichen Teil vom Herzl Berg, der passenderweise auch Har HaSikaron, Berg der Erinnerung heisst. Vom Weg aus war die Empfangshalle und dahinter das Holocaust History Museum zu sehen. Das nach oben spitzzulaufende, dreieckige Museumsgebäude bildet einen 180-Meter langen Riss durch den Hügel, was symbolisch für den katastrophalen Bruch im Judentum durch die Shoah interpretiert werden kann. Das Museum ist aus solidem Beton gebaut, ein seltenes Material in dieser Region, denn die meisten Gebäude sind aus sandfarbigem Dolomitstein.
Wir versammelten uns vor der Empfangshalle, um über die Gründungsmotivation der Gedenkstätte zu sprechen. Formell geht die Gründung der Gedenkstätte auf ein Gesetz zurück, welches Anfang der 1950er-Jahre im israelischen Parlament erlassen wurde. Dieses ist mit mehreren Aufgaben verbunden; eine Hauptaufgabe ist das Sammeln von Namen von Jüdinnen und Juden, die während der Shoah ermordet wurden. Dieser Gedanke steckt auch in den Worten «Yad» und «Vashem»:
«Ich will ihnen in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal (Yad) und einen Namen (Shem) geben […] der nicht vergehen soll» Jesaja 56.5.
Ein Ziel von Yad Vashem ist es, Jüdinnen und Juden als Menschen darzustellen, deren Identität die Nationalsozialisten im Namen ihrer faschistischen Ideologie zu vernichten suchten. Wie diese Erzählungen gesammelt, bewahrt und vermittelt werden, wird an der Gedenkstätte selbst beforscht, dazu wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere Archive, ein eigenes Forschungszentrum und das Holocaust History Museum errichtet.
Am Eingang zum Museum trafen wir uns mit Nannie Beekman. Sie arbeitet für Yad Vashem in der Abteilung «The Righteous Among The Nations». Diese Abteilung betreut eine weitere Hauptaufgabe von Yad Vashem: es soll auch an die nichtjüdischen Menschen erinnert werden, die das Schicksal der Juden damals nicht gleichgültig hinnahmen, sondern ihnen auf vielfältige Weise zu helfen versuchten und dazu persönliche Risiken und Nachteile auf sich nahmen. «The Righteous Among The Nations» soll diesen Personen den Dank des Staates Israel vermitteln.
Nannie Beekman kennt das Holocaust History Museum bis ins Detail. Durch ihre Erzählungen fügte sie eine zusätzliche Leseebene in die dichte, historisch chronologische Ausstellung ein. Diese zeigt eine enorme Fülle an Bildmaterial und Exponaten aus der Zeit zwischen Hitlers Machtergreifung und dem Kriegsende 1945. Umso wichtiger war es, dass Nannie Beekman ihre Schlüsselexponate präzise auswählte und die Blicke der Gruppe auf bestimmte Fotografien und Objekte lenkte. Die durch die Architektur vorgegebene Besucherführung ermöglichte keine Auslassungen oder Abkürzungen. Nannie Beekman reagierte als Vermittlungsperson auf diese szenografische Vorgabe und führte uns bewusst zu gewissen Ausstellungsbereichen, wie zum Beispiel zu Zeitzeug*inneninterviews. Nach ihrer Führung sassen wir noch eine Weile gemeinsam unter einem Baum und diskutierten. Unter anderem kam dabei die Frage auf, was ein solch künstlich geschaffener Gedenkort leisten kann und soll, und an wen er gerichtet ist.
Welche Auswirkung hat Kunst auf die Gegenwart?
The Israel Museum, Dauerausstellung «Israeli Art»
Auf Grund seiner Grösse und Bedeutung als Nationalmuseum planten wir zwei halbe Tage im «The Israel Museum» im Programm ein. Der erste Tag, an dem wir das Museum besuchten, war kein gewöhnlicher Öffnungstag, denn am 9. April 2019 waren 4,5 Millionen Israelis zur Parlamentswahl aufgerufen. Viele Institutionen und Geschäfte waren geschlossen, das Nationalmuseum blieb jedoch bis zum Mittag geöffnet. Es befindet sich direkt neben der Knesset, dem israelischen Parlament. So fuhren die Studierenden am Wahltag ins Regierungsviertel, um im Museum eine individuelle Tour zum Thema «Identität» zu erarbeiten. Diese Übung stellte sich als eine ideale Vorbereitung für die Führung mit Dr. Amitai Mendelsohn am folgenden Tag heraus, er ist Leitender Kurator des David Orgler Departments für Israelische Kunst.
Amitai Mendelsohn empfing uns am Eingang zur Dauerausstellung «Israeli Art». Die Wahlergebnisse, die Benjamin Netanjahu vorläufig wieder zum Präsidenten machten, waren nur kurz ein Thema, denn dann führte uns Amitai Mendelsohn unter dem Titel «Re-thinking the canon of Israel Art» auf äusserst eindrückliche Weise durch die von ihm kuratierte Dauerausstellung. Zunächst warf er mehrere Fragen auf: Was bedeutet israelische Identität? Was sind die Grenzen einer kulturellen Identität? Ist die israelische Identität eine rein jüdische Identität? «Sicher nicht!» fügte er zügig hinzu. Welche Geschichte kann mit einer Sammlung erzählt werden? Hat eine Kunstsammlung eine Auswirkung auf die Gegenwart? Welches Licht wirft israelische Kunst auf israelisches Leben? Im Einleitungstext zur Dauerausstellung werden seine Fragen aufgegriffen:
«Israeli art has always found itself pulled in two conflicting directions: the need to address what was happening outside and the desire to focus on the autonomous concerns of art itself, of material, method, and definition. Moreover, it has developed in a complex context of socio-political tension, war, and bloodshed, a context in which it is impossible to separate everyday individual life from a collective history that enfolds the dreams and traumas and memories and mythologies of both Jews and Palestinians.»
In identitätspolitischen Statements wird gelegentlich auf Ereignisse oder Personen verwiesen, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte vor unserer Zeit lebten. Inwiefern diese zeitlichen Kontinuitäten oder Diskontinuitäten unsere heutigen Identitätsvorstellungen prägen, ist sehr umstritten, denn sie sind immer an Machtstrukturen, territoriale Ansprüche und Meinungshoheiten geknüpft. Im Atrium vor der Dauerausstellung steht auf einem grauen Sockel eine Skulptur aus rötlich-braunem Sandstein. Der Figur fehlen die Beine, dadurch gleicht sie eher einem archäologischen Fund; sie ist nackt, hat markante Gesichtszüge und ein männliches Geschlechtsteil. Auf der rechten Schulter sitzt ein Falke. Ist das eine Verbindung zu Ägypten? Oder ein Verweis auf eine alte heidnische Welt? Auf dem Rücken der Skulptur ist ein Bogen gespannt, der in das Rückgrat übergeht. Ein Krieger?
Amitai Mendelsohn klärte uns auf. Bei der Skulptur handelt es sich um «Nimrod». Sie wurde vom Bildhauer Itzhak Danziger im Jahr 1939 aus nubischem Sandstein gehauen. Die Figur Nimrod war ein mächtiger Krieger, der sowohl in der Bibel, als auch im Tanach und im Koran erwähnt wird. Der hebräische Name bedeutet ins Deutsche übersetzt «der Widerstreitende» oder «Rebell». Nach jüdischer Überlieferung war Nimrod der Gründer des assyrischen und babylonischen Reiches. Ausserdem gilt er als derjenige, der den Bau des Turms von Babel anregte. Keine andere Skulptur in der Sammlung des Museums hat so starke Reaktionen hervorgerufen und für viele gilt sie als das bedeutsamste Werk in der Geschichte Israelischer Kunst. Beispielsweise wurde die Skulptur in den 1940er-Jahren zum Symbol der jüdischen identitätspolitischen Bewegung «Canaanism». Diese wollte eine hebräische Nation aufbauen, losgelöst von der jüdischen Vergangenheit, welche auch die arabische Bevölkerung im Nahen Osten umfassen würde. Für sie verkörperte die Skulptur so etwas wie einen Prototyp einer einheimischen Persönlichkeit und war ein Vorbild für ihre «imaginierte Gemeinschaft» der «neuen Hebräer» auf der Suche nach einer eigenen Identität. In den 1990er-Jahren wurde Nimrod häufig als Repräsentant einer postzionistischen Haltung interpretiert. Im Mittelpunkt dieser Haltungen stand die Überzeugung, Israel müsse angesichts der vielseitigen kulturellen, konfessionellen und nationalen Realitäten ein Staat für alle seine Bürgerinnen und Bürger werden und seinen Anspruch, ein jüdischer Staat zu sein, aufgeben.
Mit diesen einführenden Worten betraten wir die Dauerausausstellung und bleiben vor einem grösseren Gemälde stehen. Amitai Mendelsohn sagte, dass dieses Bild von ehemaligen Kuratoren im Israel Museum lange nicht in Ausstellungen gezeigt wurde. Er hängte es in der Dauerausstellung ins Zentrum. Es ist ein Gemälde aus dem Jahr 1951 von Naftali Bezem und trägt den Titel «To the Aid of the Seamen». Es bezieht sich auf einen Streik der Seeleute, der 1951 ausbrach und heftige Debatten über Israels Kibbuzim und ihre Unterstützung des Streiks auslöste. Naftali Bezem war zu dieser Zeit einer der wichtigsten sozialrealistischen Maler in der Region um Haifa. Diese sozialrealistischen Künstler*innen engagierten sich für die Arbeiterklasse, sie zeigten Klassenkonflikte und die sozialen Verhältnisse in den Anfängen des Staates Israel auf. Das Gemälde brachte uns thematisch wieder zurück zu den Wahlergebnissen. Bei den Knessetwahlen stürzte die Israelische Arbeiterpartei «Awoda» auf 4,45 % ab und erzielte damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Amitai Mendelsohns Entscheidung, sozialrealistische Maler zu zeigen, kann als ein Weckruf an die Gesellschaft interpretiert werden, sich jenseits von kultureller und religiöser Zugehörigkeit und populistischen Wahlkampfthemen für soziale Gerechtigkeit zu engagieren, um eine ethischen Gemeinschaft zu bilden, die durch Beziehungen gegenseitiger Sorge geprägt ist.
Kann Kunstvermittlung etwas bewirken?
Tel Aviv Museum of Art, «The Art Road to Peace»
Nach vier intensiven Tagen in Jerusalem fuhren wir mit dem Zug ins knapp 45 Minuten entfernte Tel Aviv – sozusagen vom religiösen ins kosmopolitische Zentrum Israels. Über die Differenzen dieser beiden Städte und die in die Stadtlandschaft eingeschriebenen «kulturellen Identitäten» könnten mehrere Berichte verfasst werden. Dieser letzte Abschnitt bezieht sich auf die Vermittlungsarbeit im Tel Aviv Museum of Art und das Projekt «The Art Road to Peace». Das Tel Aviv Museum of Art ist ein städtisches Museum und gilt als eine der führenden Kunst- und Kulturinstitutionen Israels. Der im Jahr 2011 eingeweihte Erweiterungsbau verdoppelte die Ausstellungsfläche des Museums. Im Museum wurden wir herzlich von Galit Landau-Epstein und Raafat Hattab in Empfang genommen und in einen Konferenzraum geführt. Galit Landau-Epstein ist Assistenzkuratorin in der Abteilung «Contemporary Art». In ihrer Präsentation gab sie uns einen Überblick in die verschiedenen Ausstellungen der letzten Jahre zu zeitgenössischer Kunst. Die Sammlung der Abteilung umfasst internationale Werke von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Im Anschluss übernahm Raafat Hattab das Wort. Er ist Künstler und Kunstvermittler im Education Department und einer der wenigen Museumsangestellten, die sowohl Hebräisch als auch Arabisch sprechen. Raafat Hattab wuchs in Jaffa in einer muslimischen Familie auf, besuchte eine französische und eine jüdische Schule und schloss vor vier Jahren seinen Master in Fine Arts an der Bezalel Academy of Arts and Design ab. Er ist in besonderem Masse in das vermittlerische Projekt «The Art Road to Peace» involviert. Dieses organisiert Workshops für jüdische, muslimische und christliche Kinder und Jugendliche aus verschiedenen sozialen Schichten. Auf einer Folie, die er uns präsentierte, wird das Ziel des Projekts durch die Institution wie folgt beschrieben:
«The importance of cooperation between Arabs and Jews is clear, and we believe that bringing together members of these two communities, through art, will reduce stereotypes and prejudice. […] The Art Road to Peace is a specialized project focused on coexistence and making a change.»
Gegenstand der Vermittlung des «Art Road to Peace» Projekts ist die Kombination aus einer gemeinsamen Werkbetrachtung und dem spielerischen Ausprobieren von künstlerischen Praktiken. Ein Workshop dauert drei Stunden und findet einmalig statt; es begegnen sich dabei nicht nur die teilnehmenden Kinder, sondern auch ihre Eltern. Für manche Kinder kann dies die erste persönliche Begegnung mit einem Kind aus einer anderen Community bedeuten. Der Workshop ist mehrheitlich instruktiv, jedoch erhalten die Kinder nonverbale Instruktionen in Form von Piktogrammen und Comics. Nur wenn nötig, wird auf Hebräisch und Arabisch vermittelt; die Kinder sollen lernen, gemeinsam die Aufgabenstellung zu verstehen und umzusetzen.
Raafat wünscht sich langfristigere Projekte, durch die das Museum eine Community aufbaut, die sich aus arabischen und jüdischen Communities zusammensetzt, aber dazu bräuchte es mehr Personal. Und als Institution müsse man sich entscheiden: «more groups in a short time or fewer groups with more time”. Der Ansatz, der durch das Projekt «The Art Road to Peace» aufgezeigt wird, ist wichtig und weist auf das Potenzial vermittlerischer Tätigkeiten im Museum hin. Im Anschluss an die spannende Einführung ins Projekt erhielten wir von Raafat Hattab noch eine Führung durch die Sammlungsausstellung “Remotely Related. The Museum Presents Itself».
Was können wir uns dieser Studienreise lernen?
Nach einer White-City-Bauhaus-Tour, entlang geschwungener Balkone und weissen Eckhäusern, die wie Schiffe aussahen, endete das Programm der Studienreise in Tel Aviv. Am Abend trafen wir uns in einem trendigen veganen Restaurant in der Nähe des Dizengoff Square, um die Studienreise Revue passieren zu lassen. Jeder erzählte von seinen persönlichen Erfahrungen und welche Orte, Menschen oder Momente Eindrücke hinterliessen. Beispielsweise das Industrieviertel «Kiryat Hamelacha» südlich von Tel Aviv, hier haben sich in den letzten Jahren einige Offspaces, Künstlerstudios und Galerien angesiedelt. In den Gesprächen mit Künstler*innen und Kurator*innen vor Ort konnten viele Überschneidungspunkte mit der eigenen kuratorischen Praxis und Erfahrungen mit der freien Kunstszene in der Schweiz gezogen werden. Dort gab es auch eine unerwartete Begegnung mit dem Galeristen Zaki Rosenfeld, der uns spontan in die Sammlung seiner Galerie für zeitgenössische Kunst einlud und einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichte. Lobend erwähnt wurde die Ausstellung «In Statu Quo – Structures of Negotiation» im TAMA, die mit ihren präzisen Ausstellungstexten über die komplexen und widersprüchlichen Entwicklungen von heiligen Stätten in Israel überzeugte und ein Architekturverständnis vermittelte, das Identitäten mitverhandelt. Die Ausstellungsinhalte waren eine hilfreiche Ergänzung zum Rundgang durch die Altstadt von Jerusalem ein paar Tage zuvor. Ein immer wiederkehrender Aspekt in den Rückmeldungen war der Einbezug der palästinensischen Perspektive in das Thema «kollektive Identitäten». In diesem Zusammenhang wurde der Besuch in der NGO Zochrot sehr geschätzt. Die NGO erarbeitet u.a. kritische Stadtvermittlungsprojekte und Lehrmittel für Schulen in Bezug auf den Israel-Palästina-Konflikt. Eine weitere wichtige Erfahrung war die mehrstündige Führung mit Edward van Voolen durch das «Museum of the Jewish People at Beit Hatfutsot», auf dem nördlichen Campus der Tel Aviv University. Das Museum zeigt vor allem das jüdische Leben in der Diaspora. Edward van Voolen hat wichtige Verbindungslinien und Unterschiede zwischen der israelisch-jüdischen Identität und den jüdischen Identitäten in der Welt gezogen.
Die Studienreise des Master Art Education Curatorial Studies nach Israel war eine wichtige Erfahrung. Die Analyse von Gedenkorten, Ausstellungen, künstlerischen Positionen hat den eigenen Blick auf dieses Berufsfeld geschärft und verdeutlich, dass die gesellschaftliche Rolle von Museen und Ausstellungen in einer konfliktbehafteten Welt von grosser Bedeutung ist. Der Begriff «kulturelle Identitäten» ist jedoch nicht eindeutig zu definieren und das Begriffspaar ist mit Schwierigkeiten verbunden. Für einige war es die erste Reise in dieses facettenreiche Land, jedoch ist davon auszugehen, dass weitere Reisen nach Israel folgen.