Wir leben in einer Gegenwart, die oft rat- und sprachlos macht. Der Aufstieg populistischer und faschistischer Kräfte in Europa und auf der ganzen Welt zeigt mehr als deutlich, dass Demokratie als Staats- und als Gesellschaftsform immer mehr unter Druck gerät. Auch viele Theaterschaffende und Institutionen scheinen alarmiert zu sein: Institutionen verstehen sich immer mehr nicht nur der grossen Kunst verschrieben, sondern sie wollen auch ein Ort der sozialen Politik sein. Unter dem Begriff der „Transformation“ reagieren sie auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen
und formulieren: Wir wollen aktiver Teil des Wandels hin zu einer besseren Gesellschaft sein. Auf den Ebenen der Ästhetik, Vermittlung und ihrer Organisation selbst reagieren die Kulturinstitutionen, produzieren, wandeln und reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen - und
gestalten die sich wandelnde Gesellschaft damit auch mit.
So kündigte auch die Intendanz Blomberg/Stemann zu Amtsantritt am Schauspielhaus Zürich im Jahr 2019 eine künstlerische und soziale Vision von Diversität, Inklusion und Teilhabe am Theater an. Die Theaterpraxis sollte nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine politische sein. Doch in
den kommenden Jahren gestaltete sich das Verhältnis zwischen Publikum und der neuen Intendanz nicht ganz eindeutig. Ganz im Gegenteil sogar polarisierte es die Stadtgesellschaft und löste hitzige Diskussionen in der Öffentlichkeit, der Kulturpolitik und den Medien aus. Die einen beschimpften das Schauspielhaus und seinen „woken Einheitsbrei" . Die anderen sahen auf der Bühne endlich
Minderheiten vertreten, die zuvor in den Künsten kaum zu Wort kommen durften. Und so schlichen sich die lauten Diskussionen um das Schauspielhaus Zürich wie Bühnennebel zwischen die Strassen und Gassen der Stadt Zürich, bis die Intendanz schliesslich im Mai 2022 seitens des Verwaltungsrates nicht verlängert wurde. Eine Erfolgsgeschichte war diese Intendanz aus
kulturpolitischer Sicht nicht. Oder?