Kann man eigentlich eine Figur anders spielen, als der Autor sie angelegt hat? Bis zu einem
gewissen Grade ist das möglich, sonst hätte es keinen Reiz ein und dasselbe Stück immer
und immer wieder zu spielen. Andere Inszenierungsideen und andere Schauspieler
beeinflussen und verändern natürlich einzelne Figuren. Doch wenn sich die Regie
entscheidet den Text nicht grundlegend zu verändern, gibt es trotz aller äusseren
Unterschiede immer auch gewisse Konstante die sich durch alle Interpretationen
durchziehen, Konstante die eine Figur definieren. In diesen Konstanten mogeln sich häufig
längst überholte Klischees unbemerkt auf die Bühnen der Theater.
So passiert es noch viel zu oft, dass patriarchal durchdrungene Frauenfiguren aus älteren
Stücken völlig unreflektiert auf den Bühnen zu sehen sind.
Dies aktiv zu vermeiden, stellte sich in meinen Erfahrungen als unglaublich schwierig heraus,
selbst wenn die Regie einem Raum einräumt, Veränderungen vorzunehmen und mitarbeitet.
Denn häufig sind sexistische und starre Geschlechtsbilder nicht leicht zu erkennen,
geschweige denn leicht zu vertreiben. Meistens wurzeln sie im Kern dieser Figuren und sind
bis in die zartesten Verästelungen der Sprache eingewachsen. Nimmt man Veränderungen
in den Kernstrukturen der Figur vor und/oder an der Peripherie ohne die Auswirkungen auf
die ganze Figur zu verfolgen und zu überdenken, findet man sich schnell im Chaos wieder
und weiss weder ein noch aus. Es ist nicht zu unterschätzen sich gegen die Intentionen
eines guten Autors zu stellen.
Das erlebte ich am eigenen Leib in der Arbeit am Stück „Zur schönen Aussicht“ von Ödön
von Horvàth. Ich und die Regie wollten die Figur der Christine, welche ich verkörperte, frei
machen von patriarchal klischierten Eigenschaften.
Auf den Proben, wie auch in den Aufführungen kam es dazu, dass ich regelrechte Kämpfe
mit Sätzen führte und nicht wusste wo das Problem lag, geschweige denn wie ich es lösen
konnte. Ich ahnte, dass diese Kämpfe etwas mit den Eingriffen in die Figur zu tun hatten. Da
ich den Überblick jedoch verloren hatte, konnte ich nicht rekonstruieren wie es dazu kam und
ich stellte mir die Frage ob es überhaupt möglich ist eine Figur anders zu spielen, als wie der
Autor sie gebildet hat.