Die Motivationstrainerin Vera F. Birkenbihl äußert in ihrem öffentlichen Vortrag Bedenken gegenüber dem allabendlichen Theaterspiel von Rollen mit negativen Gedankengängen und Emotionen: »Ich würde Ihnen raten, spielen Sie unangenehm negative Rollen nur für den Film, […] aber keinesfalls in einem Theaterstück, wo Sie die möglicherweise monatelang jeden Abend spielen müssen, Sie machen sich krank.« Negativen Rollen sollte man sich, nach ihrem Verständnis von neuronaler Vernetzung, nicht freiwillig aussetzen, da die Gefühlswelt und Handlungen der gespielten Rolle Auswirkungen auf die reale Psyche der Schauspielerin habe. Vor allem durch die repetitive Wiederkehr in Proben und täglichen Aufführungen. »Nicht aus der Rolle kommen« ist ein verbreitetes Klischee, wenn es um das Schauspiel geht. Heath Ledgers Suizid nach seiner überzeugenden Darbietung des Jokers mag in diesem Sinne ein nicht zur empirischen Darstellung des Umgangs mit den Auswirkungen der Auseinandersetzung mit negativen Rollenbildern geeignetes Beispiel sein. Doch möchte ich behaupten, dass sich eine nicht unerhebliche Anzahl von Schauspieler*innen bereits Situationen ausgesetzt gesehen hat, in denen wesensfremde Gedanken oder Strukturen aus den bearbeiteten Rollen mit in den Alltag integriert wurden und eine reflektive Auseinandersetzung mit extrinsischen Emotionen notwendig machte. Die Übergänge sind fließend. Es fällt schwer diese auf der Bühne ausgelebten, fremden Gefühle nicht mit ins Private zu nehmen und wechselseitig, das eigene Gefühlsleben nicht die Auseinandersetzung mit der Rolle diktieren zu lassen.
Ein Blick ins Internet und man wird fündig: Der Schauspieler der Fernsehserie »Dr. House« äußert sich im Stern: »Ich verschwende meine ganze Energie darauf, diese Figur zu spielen, die Szenen in den Kasten zu bekommen und darauf zu achten, dass sich Dr. House nicht noch in meine Psyche einschleicht.« Moritz Bleibtreu spricht mit Der Zeit: »Ich finde vieles von dem, was in der Schauspielbranche passiert, ziemlich ungesund. Ich mache meine Arbeit wie ein Kind, mit einer gewissen Unbedarftheit, ich halte aber auch Distanz zu meinen Rollen. Das führt oft dazu, dass mir in elitären Kreisen die Glaubwürdigkeit oder die Ernsthaftigkeit abgesprochen wird.« Oder die preisgekrönte Schauspielerin Isabelle Huppert im Gespräch mit der Zeit, die auf die Aussage des Reporters, ob sie Gefahr liefe, schizophren zu werden, antwortet: »In gewissem Sinn, ja. Ich durfte nicht in die Falle gehen zu meinen, ich sei mit den Figuren, die ich spiele, identisch. […] Also ich sage mir, ich bin nicht die Person, die ich spiele, obwohl ich weiss, dass ich meine ganz
persönlichen Erfahrungen und Gefühle benutze. Haben Sie eine Zigarette für mich?« Solche offenen Worte über dieses Thema hört man im Theater und in der Hochschule selten. Indes wird in den Gesprächen mit den drei Schauspieler*innen deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema gegenwärtig ist und zu Problemen führen kann. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbstschutz durch Distanz zur Rolle und Anerkennung gerierendem Spiel eröffnet sich hier.