Das Unheimliche, als das ungreifbar Angsterregende, ist ein wichtiges narratives und ästhetisches Element, das neben Elementen wie dem Komischen oder dem Spannenden das Interesse an einer Geschichte erweckt. Obwohl einem in der realen Welt ungern unheimlich ist, kann das Unheimliche interessanterweise in fiktiven Kontexten auch eine Art Lust bereiten. Was ist also das Reizvolle am Unheimlichen? Während das Unheimliche im Medium Film boomt – vor allem in Genres wie Horror, Mystery und Thriller – und auch in der Literatur nicht selten anzutreffen ist – von Schauerromanen der Phantastik bis zu zeitgenössischen Horror- und Fantasyromanen –, scheint es im Medium Theater etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Ursprünglich war der Zweck der Tragödie zwar eleos (Jammer, Mitleid) und phobos (Furcht, Schaudern) zu erzeugen (vgl. Aristoteles 335 v. Chr., S. 14 / c. 5, 3), doch hat sich das Gewicht der Katharsis mit Lessing etwas verlagert, sodass das tugendhafte Mitleid im Zentrum steht. Das Schaudern ist bei ihm ans Mitleid
geknüpft und sein Zweck ist somit in erster Linie, den Zuschauer moralisch zu bilden (vgl. Lessing 1768, 74.–77. Stück, S. 378–397). Artaud forderte im letzten Jahrhundert das Grauen im Theater durch Brechung verschiedenster Theaterkonventionen zurück (vgl. Artaud 1933, S. 89–107), doch muss man im postdramatischen Theater richtig nach dem Grauen, Schaudern und Unheimlichen suchen. Denn durch den Modus des Zeigens und des Offenlegens der Medialität wird die emotionale Involvierung in die fiktive Welt erschwert. Andererseits erzeugt das Hervortreten der Machart auch ein unheimliches Verhältnis von Realität und Medialität, die das Unheimliche im Gegenwartstheater prägt (vgl. Günther 2018, S. 102).
Es geht hier um die Frage, ob und wie das Unheimliche Platz im zeitgenössischen Theater findet. Dahinführend soll erst einmal untersucht werden, was das Unheimliche von anderen Stimmungen abgrenzt und welche narrativen, ästhetischen und psychologischen Strukturen ihm zu Grunde liegen. Obwohl man viele unheimliche Motive aufzählen kann (Untote, lebendig werdende Puppen, Doppelgänger, real werdende Träume, Dunkelheit, Nacht, Wald, Friedhof, usw.), fällt es schwer, eine grundlegende Struktur zu definieren, die auf alle diese und nur diese Motive zutrifft. Der bekannteste Versuch, das Unheimliche greifbar zu machen, findet man wohl in Sigmund Freuds „Das Unheimliche“ (Freud, 1919). Dieser Text dient als Anstoss für viele weitere Theoretiker, die sich mit dem Unheimlichen auseinandersetzen, liefert aber eigentlich an sich keine vollständige Theorie des Unheimlichen (s.a. Dollar 1991, S. 5). Das Phänomen des Unheimlichen ist schwer greifbar, weil seine strukturellen Eigenschaften auch bei anderen Phänomenen festzustellen
sind. Das Unheimliche hat also gewisserweise viele „Doubles“, welche beim Versuch, das Unheimliche auf eine Theorie festzunageln, stören. Gerade das Komische hat viele strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Unheimlichen: die Wiederholung, die Überraschung, der Regelbruch, das Abnorme, die Figur des Clowns, der Doppelgänger. Warum haben diese gegensätzlichen Emotionen – Amüsement und Angst – als Auslöser so ähnliche Strukturelemente und was entscheidet schliesslich, ob diese oder jene Emotion evoziert wird? Die Strukturelemente können ausserdem bei einem Film anders gestaltet sein als bei einer Theaterinszenierung. Es stellt sich also auch die Frage, wie die narrativen und ästhetischen Strukturen des Unheimlichen mit der jeweiligen Medialität zusammenhängen.