Wie beeinflussen uns sensorische und räumliche Begebenheiten in unserem Lehr-und Lernverhalten? Wie wird gelehrt und gelernt an der ZHdK und anderswo? Wie lassen sich solche Formen umdenken, umstellen und wie können wir über sprachliche, räumliche, performative, materielle und immaterielle Interventionen die Bedingungen von education im weitesten Sinne verändern? Dies sind Fragen, welche in kritischen und radikalen pädagogischen Ansätzen diskutiert werden und seit geraumer Zeit im künstlerischen Feld (wieder) Einzug halten. Seien es temporäre Schulen, Seminare, Lecture-Reihen oder freie Universitäten; die Frage nach Bildungs- und Vermittlungsformen, welche klassische institutionelle Formate überschreiten und überdenken ist gerade in Zeiten der forschreitenden Ökonomisierung von Bildung virulent. Mittels verschiedener Herangehensweisen wurden diese Themen im Seminar other classrooms forschend-experimentell untersucht.
Das Seminar «other classrooms» fand an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im Programm Master of Arts in Art Education statt. Der Kurs fand ausserhalb des Schulgebäudes in einem kleinen Atelier mit der Bezeichnung ENKLAVE statt. Es war wichtig, ausserhalb der Schule zu sein, denn eines der Ziele des Seminars war ja, Gebäudestrukturen von Art Education und deren Auswirkungen auf pädagogische Ansätze und künstlerische Arbeit zu untersuchen. Ein weiteres Vorhaben war das kollektive Lesen von Grundsatztexten über kritische und radikale pädagogische Ansätze und den «educational turn», die «edukatorische Wende». Zu diesem Zweck wurde das Schriftstück «other classrooms» zusammengestellt (zum Herunterladen: https://otherclassrooms.files.wordpress.com/2015/1…). Während des Seminars stellten Gäste aus den Bereichen Kunsterziehung, künstlerische Forschung und kollektive Praxis ihre Arbeit vor, führten uns durch Schulgebäude oder diskutierten mit uns. Eine weitere Forschungsplattform ist der Blog https://otherclassrooms.wordpress.com, der Informationen über radikale pädagogische Ansätze, Künstlerschulen, freie Universitäten und Ausbildungskollektive erfasst. Sicher, nur schon das Setting des Seminars warf eine wichtige Frage auf: Da stand ein grosser Holztisch mit «Werkzeugen» für die Auseinandersetzung mit dem Material und wurde zu einem Beleg: die Langeweile, das Ringen um einen Konsens, die kleinen Textfragmente und Zitate: Dies alles nahm die Form einer Vision kollektiver Entscheidungsfindung an. Diese Interaktionen und das Eintauchen in Diskurse hatten den Zweck, uns für die Teilnahme am Symposium PLEASE WORRY! im Migros-Museum vorzubereiten. Zuerst hatten wir die Absicht, das Setting des Symposiums zu ändern. Denn wir erwarteten, dass es klassisch sein würde wie alle anderen Symposien, die wir zuvor besucht hatten. Doch nachdem wir einen Blick auf die Situation im Migros-Museum geworfen hatten, erkannten wir, dass das Setting in der Ausstellung bereits mit Informationen überladen war. Es war voraussehbar, dass es schwierig sein würde, 100 Leute unterzubringen. Deshalb beschlossen wir, uns nicht während des Symposiums einzubringen. Wir suchten nach einer anderen Art, aktiv zu werden, und kamen zum Schluss, dass wir am Freitagabend das Essen für alle Teilnehmenden organisieren würden. Wir fanden die Vorstellung eines Abendessens als eine kollektive Erfahrung und die Möglichkeit einer ersten Interaktion für die Leute, die für die Veranstaltung zusammenkamen, sinnvoll. Wir lasen oder hörten während des Seminars oft von der Wirkung, die Zusammenkünfte wie gemeinsame Mahlzeiten und gemeinsame Arbeitssituationen auf die Entwicklung experimenteller Ansätze in der Bildung und den Künsten haben können. Ein Beispiel dafür ist eine Aussage von John Cage über die Bedeutung des Speisesaals am Black Mountain College: «Was meiner Meinung nach in Black Mountain so wichtig war, war die Tatsache, dass wir die Mahlzeiten gemeinsam zu uns nahmen. Ich unterrichtete zum Beispiel Komposition, doch niemand studierte bei mir. Ich hatte keine Studierenden. Aber ich sass dreimal am Tag an einem Tisch und da fanden Gespräche statt. Diese Mahlzeiten waren die Kurse. Und es entstanden Ideen. «Wir wählten den Satz «Diese Mahlzeiten waren die Kurse» als Titel für unser Abendessen am Workshop im Migros-Museum. Jede anwesende Person musste verschiedene Stationen durchlaufen, um am Schluss eine köstliche Piadina essen zu können. Am Eingang zum Workshop erhielten alle eine Schürze und eine Portion Teig und mussten den Produktionskreislauf abschliessen. Dieses Setting ermöglichte Gespräche und wies allen denselben Grad an Verantwortung zu. Das war unser grösstes Anliegen: Wie schaffen wir eine Situation mit so wenig Hierarchie wie möglich?
Am Samstagvormittag stellten wir unser Seminar am Symposium vor. Entsprechend unserem Vorgehen wollten wir nicht, dass eine Person vor dem Publikum sitzen und über das Seminar und das Abendessen reden würde. Deshalb verfassten wir ein Script, das von den Mitgliedern der Gruppe vorgelesen wurde, während sie mitten im Publikum standen. Das Script hielt fest, dass unser Abendessen ein wichtiger Teil des Symposiums war, weil alle Dozierenden das von uns zubereitete Essen zu sich nahmen und so auf einer «immanenten» Ebene durch die Lebensmittelteilchen und die Erfahrungen vom Vorabend verändert wurden. Während aus dem Script vorgelesen wurde, wurde ein Film vorgeführt, auf dem der Piadina-Teig zu sehen war und immer kleiner wurde, weil Hände ein Stück nach dem andern davon entfernten. Diese mit einem Augenzwinkern gemachte Erklärung, wie Theorie und Praxis unterschiedlich verstanden werden können, war unser letzter Beitrag an das Symposium.