Das Vorsprechen bedeutet für Schauspielstudierende den Einstieg ins Berufsleben. Es handelt sich nicht um ein Theaterstück im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr um eine “Berufs-Messe”. Die Studierenden stellen sich vor mit ausgewählten Szenen, wobei Zeitgenossenschaft und gesellschaftliche Relevanz ebenso wichtig sind wie die Beherrschung der lassischen und antiken Stücke.
Das zeitgenössische Künstler*innen-Ideal als Abbild und Manifestation von Ideologie Oder Was man von uns erwartet, wenn wir uns Künstler*in nennen und warum wir diese Erwartung besser nicht länger erfüllen sollten
„Hosen runter, Karten auf den Tisch legen, loslegen, loslabern, Unsinn reden, das ist ja wohl das Grundrecht eines Künstlers. Es wird aber gar nicht mehr gehandhabt, weil es nicht mehr gelehrt wird. Heute wird gelehrt, dass man sich in Gremien einzufinden hat, wo einem dann gesagt wird, dass man Künstler ist und dies und jenes zu tun hätte. Dann muss man noch die Sticker haben, dass man eben irgendwas ist. Das tolle am Künstler ist ja, dass er ein Glücksritter ist, er ist irgendein Spieler, wie in Las Vegas: Einfach auf Rot setzen, und wenn Rot eben kommt, dann hat man Glück, und wenn Schwarz kommt, hat man halt Pech, aber das ist nicht so schlimm. Deshalb darf es auch keinen frustrierten Künstler geben, weil er spielt doch das Spiel. Kann ich alles nicht verstehen, weil man legt doch los. Wenn ich das Nordkap suche, dann muss ich doch damit rechnen, dass ich verschütt’ gehe oder verschollen bin oder es nicht schaffe, aber das macht ja nichts, wenn ich es denn wenigstens anstrebe. Deshalb ist Künstler natürlich ein wunderschöner Begriff, so wie Tierbaby oder Stofftier, also irgendwas, was irgendwas ist und gedrückt werden kann, wie Richard Wagner.“ - Jonathan Meese
In meiner Masterthesis möchte ich mich mit der Frage auseinandersetzen, was Künstler*innen wesenhaft ausmacht. Ich habe fast zehn Semester an einer Kunsthochschule studiert, bereits einen Bachelor Abschluss in der Tasche und der Masterabschluss in „Performing Arts“ folgt gegebenenfalls nach dieser Arbeit. Nach meinem Studium werde ich mein Erstengagement am Luzerner Theater antreten, habe also den Weg in die institutionalisierte Kunst geschafft. Des Weiteren werde ich in der Künstlersozialkasse versichert sein und bin jetzt schon in der Kartei für Künstlervermittlung der ZAV (Bundesagentur für Arbeit). Auf dem Papier bin ich also schon jetzt durch und durch Künstler. Aber was macht Künstler*innen außer der staatlichen und gesellschaftlichen Anerkennung als solche wirklich aus? Was ist es, was diesen Begriff so wunderschön macht, wie Jonathan Meese es ausdrückt?
Ich habe mich vor den Gremien, von denen Jonathan Meese im oben angeführten Zitat spricht, eingefunden und die Legitimation Künstler zu sein erhalten. Er spricht aber auch davon, dass diese mir sagen, was ich zu tun hätte, als Künstler. Was erwarten die Gesellschaft und ihre Institutionen, was erwartet die Kultur nun von mir, im Gegenzug für den gesellschaftlichen Status Künstler? Dieser Frage möchte ich in dieser Arbeit nachgehen. Ich möchte mich zudem mit der Frage beschäftigen, inwiefern diese Erwartungshaltung ideologisch geprägt ist und inwiefern ich als Künstler, der diese Erwartungshaltung erfüllt und nach dem von der Gesellschaft formulierten Künstler*innen-Ideal arbeitet, diese Ideologie unterschreibe, unterstütze, manifestiere.
Über die Parallelität schauspielerischer und gesellschaftlicher Angstmechanismen und die Frage, ob das Theater ein Raum zur Überwindung gesellschaftlicher Ängste sein kann
Ich werde in dieser Arbeit die Auswirkungen und den Umgang mit dem Gefühl der Angst, auf der einen Seite im Theater und als Schauspieler, auf der anderen Seite in unserer Gesellschaft, darlegen.
Welche Ängste spielen für mich als Schauspieler eine Rolle? Welche sind gesellschaftlich präsent?
Wie gehe ich als Schauspieler mit meiner Angst um?
Was sind gesellschaftliche Mechanismen zum Umgang mit Angst?
Gibt es Parallelen und wie kann das Theater und der Schauspieler, ausgehend von der eigenen Angst, allgemeingültig und gesamtgesellschaftlich über Angst erzählen?