In meiner künstlerischen Praxis interessiere ich mich seit längerer Zeit für die
Arbeit mit nicht-menschlichen Körpern. Diese Körper können Objekte, Räume,
Videos, Licht, Materialien, Pflanzen, Tiere, Roboter oder noch etwas anderes
sein. Seit meinem Bühnenbildstudium hat sich dieses Interesse konzentriert
auf das Zusammenspiel zwischen performenden Körpern im Raum und nichtmenschlichen Akteur*innen. Wo liegt die Potenzialität dieser Synergie? Was
für Beziehungen werden produziert? Welche Qualitäten können diese erreichen? Wie kann ich mit der Gestaltung eines Theater- oder Kunstraumes dieses
Potenzial ausloten? Ich habe mich entschieden, für meine Bachelor-These
folgende Fragestellung zu bearbeiten:
Inwiefern kann die Gestaltung von Theater- oder Kunsträumen
Beziehungen zwischen Performer*innen und nicht-menschlichen
Akteur*innen produzieren?
Ich sehe eine Notwendigkeit der Frage nachzugehen, wie Raum und dessen
Gestaltung Beziehungen produzieren kann zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen. In meiner Wunschvorstellung sind diese im besten
Fall nichthierarchisch. Immer noch werden Requisiten als Diener der Inszenierungen gehandelt. Den Objekten wird wenig Handlungsmacht zugesprochen.
Demgegenüber beobachte ich den Trend, im zeitgenössischen Theater mit
Objekten, Materialien, Klängen, Gerüchen, Farben oder Strukturen zu arbeiten.
Da stellt sich für mich die Frage, welche Rolle diese Akteur*innen haben und
in welchem Verhältnis diese zu den Performenden stehen.
Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen an der Abendkasse des Theaters Plätze auf der Bühne angeboten werden? Würden Sie Ihre gewohnte Sicht aus dem Zuschauer:innenraum auf die Bühne wählen oder interessiert Sie die neue Perspektive?
Im März 2023 stehe ich vor dieser Entscheidung, als ich die Matthäus Passion des Theater Basel anschauen will. Ich habe mich für die mir bislang unbekannte Perspektive entschieden. Durch den Zuschauerraum betrete ich die Bühne und die darauf aufgebaute Besuchertribüne. Als ich meinen Platz einnehme, die Erkenntnis: Ich kann alle rund 1000 Zuschauer:innen, welche auf den fix installierten Plätzen sitzen, sehen.
Als das Saallicht ausgeht, verschwindet der Grossteil der Gesichter der mir gegenübersitzenden Menschen. Doch die ersten Reihen bleiben durch das Streulicht der hellen Bühne immer in meinem Blickfeld. Ab jetzt haben sie meinen Fokus.
Die nächsten drei Stunden fokussiere ich mich mehr auf die Sitzsituation als auf das eigentliche Operngeschehen auf der Bühne. Plötzlich denke ich über meine eigenen Arbeiten nach, wo ich ebenfalls schon ungewöhnliche Sitzsituationen geplant und umgesetzt habe. Dies durch die Tatsache, dass ich oft in "leeren Räumen" arbeite, wo ich die komplette Bühnen-Zuschauer-Situation von Grund auf planen kann. Doch nie habe ich dabei bedacht, was es für die Zuschauer:innen bedeutet, wenn ich eine Tribüne plane, wo sich die Besuchenden während des Stücks gegenseitig sehen können.
Welchen Einfluss haben Sitzsituationen, in denen die Zuschauenden sich gegenseitig anschauen können, auf die Intensität der Wahrnehmung des Stücks?
«Mehr als 10 Prozent der Menschen in der Schweiz leben mit einer Behinderung. Sichtbar und unsichtbar. Leicht bis schwer beeinträchtigt. Gehen wir davon aus, dass unsere Freundes-und Bekanntenkreise
aus durchschnittlich zehn Personen bestehen, so müsste jeder von uns mindestens eine Person mit
Behinderung kennen. Dass das häufig nicht der Fall ist, zeigt unter anderem die Tragweite der Tatsache,
dass Menschen mit Behinderung in der Schweiz immer noch von grossen Teilen des gesellschaftlichen
Lebens ausgeschlossen sind. Diese Menschen werden systematisch unsichtbar gemacht.»
Das einletende Zitat zeigt eindrücklich die unterschätzte Zahl, der in der Schweiz lebenden Menschen
mit Behinderung.
Die queere, deutsche Autorin und Aktivistin Luisa L’Audace schreibt: «Einer der Schlüssel für Inklusion sind Repräsentation und Sichtbarkeit. Ohne Teilhabe und Inklusion treffen nicht-behinderte Menschen
kaum auf behinderte Menschen, wodurch auch keine Repräsentation entstehen kann. Um dies zu ändern, müssen neben dem Abbau von Barrieren auch neue Räume eröffnet werden, die als gleichwertig
[...] anerkannt werden.»
Sie ist der Meinung, dass nicht davon ausgegangen werden sollte, dass alle
Menschen über die gleichen Fähigkeiten verfügen. Meint, dass wir nicht alle gleich sprechen, das gleiche
Arbeitstempo haben, nicht die gleichen zeitlichen Verfügbarkeiten, nicht die gleichen Körperbeschaffenheiten, nicht die gleichen Bedürfnisse da sind und es trotzdem allen zustehen sollte, Chancen auf Zugehörigkeit, Zugänglichkeit, Teilhabe und Mitspracherecht zu erhalten.
Der iconic turn sieht den Aufbau sprachlicher
Logik in deren materiellen Gegenpol, dass sich die Sprache
also immer auf etwas Gegenständliches bezieht und unser Denken somit
auf einer Logik von Zeichensystemen beruht. “Das Weisen oder Zeigen
wird dabei als Basis des Sagens wieder entdeckt.” Sogar die Naturwissenschaften nutzen bildgebende Verfahren, beispielsweise in der Radiologie,
um nur auf diesem Weg mögliche Erkenntnisse zu generieren, die mit
sprachlicher Logik nicht möglich wären.
Auch in der aktuellen Theaterlandschaft gibt es einige Akteur:innen, die
sich der vornehmlichen Vermittlung über Bilder verpflichtet haben. Die
anfänglich zitierte Regisseurin Susanne Kennedy (Bühnenbild: Markus
Selg) zum Beispiel, mit ihren surreal anmutenden Bühnenwelten, die oft mit Referenzen aus Gaming und Internetkultur arbeitet und
ihre Schauspieler:innen nicht sprechen lässt, sondern nur Stimmen aus
dem Off verwendet, wozu sich die Darstellenden puppenhaft bewegen.
Oder der am Zürcher Schauspielhaus arbeitende Hausregisseur Alexander
Giesche, der Objekten und Gadgets mindestens so viel Platz einräumt wie seinen Darsteller:innen, und die dabei
entstehenden Bilder collageartig zu einem visuellen Essay über
Themen wie den Klimawandel oder Kapitalismuskritik zusammenfügt.
Ebenfalls hauptsächlich über Bilder funktioniert das Stück Die for Life
der bildenden Künstlerin Anca Munteanu Rimnic. Anhand meiner Eindrücke dieses
Stückes möchte ich mich an der Frage abarbeiten, wie Bilder kommunizieren und Geschichten erzählen, ohne sich per se einer sprachlichen
Narration zu bedienen.