Das Interesse, dem diese Masterarbeit nachgeht, entstand aus einer Situation, die für mich als
Dramaturgin und Studentin zuerst verwirrend und dann äußerst produktiv war. Sie betrifft den
Umgang mit meinen Notizen in einem Probenprozess. Zu Beginn des Jahres arbeitete ich als
Dramaturgin im Rahmen des Festivals Tanztage 2020 mit einem jungen Choreografen zusammen.
Wir standen in einem interessanten Austausch und teilten viele inhaltliche Überschneidungen
- nur die gemeinsame Reflexion der Probe gestaltete sich schwierig. Meist waren andere
Bereiche wichtiger, die Musik oder das Kostüm, und mit steigender Anspannung gab es immer
weniger Raum für das sogenannten Feedback am Ende eines Durchlaufs. Mein Eindruck war,
dass ihm meine Anmerkungen nicht so wichtig erschiene. Ich wollte mich im Rahmen des
Festivals nicht aufdrängen und verließ dann jeweils die Probe. Am Tag der Premiere bekam ich
eine Nachricht des Choreografen mit der Bitte, ihm doch kurz meine Notizen zu schicken, damit
er sie noch einmal durchgehen könne. Da ich meine Notizen weder bei mir hatte noch dachte,
dass er mit ihnen etwas hätte damit anfangen können, musste ich verneinen und versuchte kurz,
per SMS zusammenzufassen, was mir aufgefallen war.
Diese Situation ließ mich mit einem unbefriedigenden Gefühl zurück. Zum einen hatte ich den
Eindruck, unser Austausch reduziere sich auf meine mehr oder weniger kritischen Anmerkungen,
zum anderen resultierte dieser Moment aus einem grundsätzlichen Missverständnis der
dramaturgischen Position heraus. Die Notizen, die ich während der Proben verfasse, sind nicht
für eine andere Leserin gedacht, sondern für mich, um mich zu erinnern. Sie sind keine Anleitung,
die ohne Gespräch umgesetzt werden kann, und enthalten auch keine Wahrheit, die sofort
eine magische Wirkung entfaltet. An dieser Stelle sei gesagt, dass vermutlich jede Dramaturgin
anders mit ihren Notizen umgeht und diese Situation sicherlich nicht für jede dieselben Fragen
aufgeworfen hätte. Trotzdem wollte ich überprüfen, ob ich hier eine singuläre Erfahrung
gemacht hatte, wie andere Dramaturg*innen mit dieser Situation umgegangen wären und welche
Schlüsse daraus über den Stand dramaturgischer Praxen gezogen werden können. Diese konkrete
Situation öffnet eine Tür, um mich mit der Funktion von Notieren, Kommentieren und
anderen Formen des Schreibens in dramaturgischen Praxen zu beschäftigen. Daraus ergab sich
eine Auseinandersetzung mit Intimität und Öffentlichkeit, meiner Positionierung als Dramaturgin
inner- und außerhalb künstlerischer Prozesse und verschiedenen Beziehungsweisen, in denen
ich mich als Dramaturgin befinde. Dabei soll keine Allgemeingültigkeit oder ein umfassendes
Bild der Dramaturgie heute behauptet werden. Vielmehr soll diese Arbeit exemplarische
Einblicke in zeitgenössische dramaturgische Praxen geben und schon in ihrer Form deutlich
machen, dass sowohl Dramaturgie als auch Schreiben an sich keine vereinzelten Tätigkeiten
sind.