Im Zuge meines Theaterstudiums an der Zürcher Hochschule der Künste war ich Teilnehmer:in an einer Lehrveranstaltung namens „Perform Yourself“. Es handelte sich um einen Versuchsraum autobiografische Inhalte der Teilnehmer:innen in Soloperformances zu verarbeiten und gegebenenfalls durch autofiktionalen Elemente zu ergänzen. Im Zuge dessen konzipierte und performte ich einen Kabarettabend mittleren Umfangs. Ich habe seither grosses Interesse an der Arbeitsweise für meine eigene künstlerische Praxis und als Rezipient:in.
In der vorliegenden Arbeit spreche ich über die eigenen Auseinandersetzungen mit dem Thema und der Praxis. Ich erweitere den Diskurs um die Komponente einer Recherche, um einen weitläufigeren Blick zu ermöglichen. Um das Thema niederschwellig zugänglich zu halten, entscheide ich mich in dieser Abschlussarbeit eine einfache und inklusive Sprache zu verwenden. Formulierungen aus der „Ich-Perspektive“ oder „wir-Perspektive“ erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Ich berichte aus meinem eigenen Erfahrungspool, aus dem Gelerntes oder Gesehenes nicht stets auf eine einzige Quelle zurückgeführt werden kann. Die Grenzen der empirisch gesammelten Auseinandersetzungen und Arbeitsprozesse verschmelzen oder widersprechen möglicherweise Thesen, Theorien oder Erfahrungen anderer.
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit machen wir einen Streifzug durch den literarischen Ursprung des Begriffs der Autofiktion und stellen diesen der Autobiografie gegenüber. Anschliessend widmen wir uns der Vertrauensfrage und dem Umfeld in dem autobiografische und -fiktionale Inhalte fruchtbar sein können. Ausserdem lernen wir die Ambivalenz der Potenziale imaginierter und praktizierter Wahrheiten kennen. Schliesslich werden anhand einzelner Beispiele mögliche aufkommende Probleme oder Potenziale im Zuge der Arbeit mit Autofiktion und -biografie aufgezeigt. Schliesslich erwähne ich einige Erfahrungen meiner eigenen künstlerischen Praxis. Am Ende der Arbeit versteht sich das Verzeichnis der literarischen wie performativen Quellen als ein Überblick meiner weitläufigen Auseinandersetzung mit dem Thema und dient als Einladung zur Gesprächsgrundlage sowie mögliche Inspiration.
Wenn ich überlege, was alle Theatervorstellungen, die mich in meinem Leben begeistert haben,
gemeinsam haben; dann komme ich zu dem Schluss: Sie wirken aktiv folgenden Symptomen von
Individiuen in hochkapitalistischen Gesellschaften auf die eine oder andere Weise entgegen:
Apathie, Erschöpfung, Entfremdung, Egozentrismus, Gleichgültigkeit, Abstumpfung, Sinnverlust,
einem Gefühl von Leere. Großartiges Theater ist für mich ein Ritual bei dem Menschen sich üben
in einer Fähigkeit, die bei den täglichen Bemühungen möglichst zu funktionieren und nicht zu
verzweifeln eher hinderlich ist; - der es aber gesamtgesellschaftlich dringend bedarf: Empathie.
Weshalb brauchen wir mehr Empathie? Der kanadische Arzt, Sucht- und Trauma Experte Dr. Gabor
Maté beleuchtet in seinem Buch „Der Mythos des Normalen”, wie uns unsere modernen,
vermeintlich „normalen” Lebensbedingungen - von der persönlichen Ebene frühkindlicher
Prägungen bis hin zu unseren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systemen – kollektiv
traumatisieren1, da sie elementare Bedürfnisse der Spezies Mensch missachten.
Diese Bedürfnisse sind nach dem breiten Konsens aus der Psychologie wie folgt: Zugehörigkeit, Verbundenheit, Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben, Kompetenz, Vertrauen in die persönlichen und
sozialen Ressourcen, ein Gefühl von Sinn, Transzendenz.
Ein wichtiges Mittel auf dem Weg zu Heilung einer traumatisierten, bzw. von ihren Bedürfnissen
entfremdeten Gesellschaft, ist für Maté das Mitgefühl. Es geht, genauer gesagt um das Anerkennen
und Nachempfinden der Wunden, die, wie er schreibt, durch den Raubbau an der eigenen und der
kollektiven „menschlichen Seele“ entstanden sind. Empathie - „die Bereitschaft und Fähigkeit, sich
in den Zustand anderer Menschen einzufühlen” - wiederum ist Voraussetzung um Mitgefühl
empfinden zu können.
Das Werk The Silence in der Schaubühne, dem ich zuerst sehr distanziert begegne,
überwältigt mich unerwartet emotional, als der Regisseur Falk Richter die Geschichte
seines Vaters Sterbeprozesses enthüllt. Die Passage ist so wahrhaftig, dass sie mich auf
eigene Erfahrungen und Ängste zurückwirft.
Viele Zuschauer*innen weinten und waren sichtlich erschrocken.
Eine Brutalität befindet sich im Raum, da der Tod unausweichlich scheint und gleichzeitig
existiert Trost, denn am selben Ort zur selben Zeit wird der gleiche Schmerz geteilt.
Als ich zwei Monate später mit Falk Richter und Dimitrij Schaad (Schauspieler des Stückes)
im gleichen Haus auf einer Premierenfeier auf der Tanzfläche stehe, sind all diese
Assoziationen verschwunden.
Wieso empfinde ich jetzt kein Mitgefühl, keine Verbundenheit, ich kenne doch die
Geschichte nun? Allerdings ist meine Verknüpfung zum Thema Tod abhandengekommen.
Diese Emotionen sind dementsprechend weder an die spezifische Geschichte Richters
gekoppelt noch an den Schauspieler, welcher sie vermittelt.
Denn in anderen Kontexten sind die Assoziationen trotz des Wissens um das Schicksal
nicht vorhanden.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage:
Ist es nicht das Wissen um die Sterblichkeit und Verluste, die berührt, sondern macht erst
das Theater diese Themen zugänglich?
Ist das Theater als vergänglicher Raum im besonderen eine Kunstform, die uns so
unmittelbar für den Tod sensibilisiert?
Diese Arbeit ist eine Suche nach dem Motiv der Vergänglichkeit im Theater. Wie wird das
Thema der Sterblichkeit auf der Bühne behandelt und kann sie uns dabei helfen, unsere
eigene Endlichkeit anzunehmen?
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist das Anliegen, mir klarer darüber zu werden, wie ich ins Handeln komme, beziehungsweise was die Bedingungen dafür sind, dass ich mich als handlungsfähig wahrnehme, um neue Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Worauf ziele ich mit meinem (künstlerischen) Handeln ab? Wie kann ich in eine Wirksamkeit kommen?
Eine Untersuchung des Handelns drängt sich mir gerade aus kunstspezifischer Perspektive auf, ist Handeln doch ein elementares Grundprinzip von Kunst. Das ist, auf das Theater bezogen, sicherlich kein revolutionär neuer Gedanke. Judith Siegmund, Professorin für philosophische Ästhetik, beschreibt jedoch einen Funktionswandel, der unabhängig von der Kunstform “dazu führt, Handlungen (immer mehr) als wesentlichen Aspekt künstlerischer Arbeit zu beschreiben".
Aber eine Untersuchung von Handlungsfähigkeit drängt sich offensichtlich auch aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive auf: “Da ist anscheinend gar nichts mehr dazwischen zwischen ‘wir müssen was machen’ und ‘oh, wir können nichts machen’. Was ist denn dieses Dazwischen? Ist das das jetzt? Wann fängt denn dieses nie wieder an?”, fragt der antifaschistische Podcast "gestresst und rauschig" als Reaktion auf die Correktiv-Recherche zu den menschenverachtenden Vertreibungsplänen und die immer weiter erstarkende Rechte.
Exemplarisch für eine gesellschaftliche Verhandlung von Handlungsfähigkeit ist auch die Prägung des Begriffs der “Klimaohnmacht”. Wie können wir wirksam werden, anstatt zwischen “es muss dringend gehandelt werden” und “ich kann nichts tun” stecken zu bleiben?
Die vorliegende Arbeit vertritt die These, dass Handlungsfähigkeit durch die Konstruktion von strengen Gegensatzpaaren stark eingeschränkt wird, und versucht, diese These zu argumentieren und darüber nachzudenken, welche Auswege es geben könnte. “Was ist denn dieses Dazwischen"?
Während meines Schauspielstudiums an der ZHdK habe ich viel das Schauspielhaus Zürich
unter der Intendanz (Nicolas Steman & Benjamin Blomberg) und das Theater Neumarkt (Julia
Reichert, Hayat Erdoğan, Tine Milz) besucht und dort eine ganz andere Theaterästhetik
kennengelernt, als ich sie von den großen Theatern her kannte, die ich in meiner Heimatstadt
Wien besuchte. Dort bin ich zum ersten Mal Spielstilen begegnet, wo auf der Bühne von den
Spielenden mit ihrem eigenen Namen gesprochen wurde. Sie stellten sich als sie selbst vor
und traten oft sogar als Gastgeber des Abends auf. Das löste in mir eine große Begeisterung
aus und war für mich ein neues Theatererlebnis, das bei mir sehr schnell eine Verbindung
auslöste und mich an diesen Theaterabenden in den Bann zog. Das Theater spricht mich von
den Themen her oft sehr an und wirkt auf mich sehr durchdacht und ästhetisch
durchkonzipiert. Aber mit der Zeit und mit der Anzahl der Stücke, die ich in diesen Theatern
gesehen hatte, kristallisierte sich für mich ein Muster heraus, wie sich diese Körper auf der
Bühne bewegten, und es stellte sich für mich die Frage: Wie fühlten sich diese Körper auf der
Bühne? War dieser Zustand einschränkend? Und was erlebten sie, wenn sie so auf der Bühne
standen? Da die meisten von ihnen wie ich an einer Schauspielschule waren und ein breites
Spektrum an Spielmöglichkeiten, Facetten und Werkzeugen studiert hatten. War das eine
andere Form, aus der sie schöpfen konnten?
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Spielzustand des Rausches und der Beziehung, die
Schauspieler*innen in ihrer Arbeit als Bühnenkünstler*innen zu diesem Zustand haben und
wird untersuchen, ob es im postdramatischen Theater eine neue Beziehung zu diesem Zustand
gibt und ob in einer “postdramatischen Spielweise” das Gefühl des Spielrausches verloren
geht.
Wenn Schauspieler auf die Bühne gehen und Schriftsteller neue Werke schreiben, kann man die Angst in ihren Augen sehen. Denn sie wissen wie kein anderer, wie man die Wahrheit sagt. Mit Worten, mit Farbe, mit Augen.
Wie soll ein Künstler mit dem Krieg umgehen? Wie findet man die Kraft, weiter zu schaffen und der Welt einen Teil von sich zu geben, sich zu bewegen und zu bewegen. Meine Gedanken zusammenzufassen und nicht die Gelegenheit zu verlieren, der Welt meine Meinung mitzuteilen.
Unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen zu diskutieren und zu äußern und die Menschen in einem Zustand des Nationalbewusstseins zu halten, d.h. der Gesellschaft die Bedeutung der Kenntnis ihrer Sprache, Literatur und deren Förderung näher zu bringen. Die Besonderheiten und Charakteristika der ukrainischen Literatur zu vermitteln und zu zeigen, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Die Kunst spielt auch eine wichtige Rolle bei der Erziehung der jungen Generation in Kriegszeiten. Und wenn ein Künstler sich im Ausland befindet, über die Grenzen des Landes hinausgeht, wird er zu einem Boten für andere Nationen, der die Möglichkeit hat, die Geschichte unserer Generation, der Generation des 21. Jahrhunderts, zu erzählen, die erfahren hat, was Krieg ist.. Darüber zu berichten, wovor viele Menschen einfach die Augen verschließen.
Die Frage der Mobilisierung stellt sich mit dem Ausbruch des Krieges nicht nur in den Reihen der Militärs, sondern auch in den Reihen der Künstler. Sie manifestiert sich in der Aufzeichnung einer neuen Realität, einem "Autoporträt der Gegenwart" für neue Generationen und die Welt. Sie kann sogar die militärische Hilfe fürs Land beeinflussen. Es hilft außerdem, die eigene Kultur in anderen Kulturen zu machen, in dem die Stimmen der Menschen, die die Besatzung überlebt haben, gehört werden. Künstler halten ihre emotionale und moralische Front aufrecht, erheben den nationalen Geist und den Glauben. In meiner Arbeit geht es um Künstler, die seit Jahrhunderten außerhalb der Schützengräben für ihre Literatur und ihr künstlerisches Erbe kämpfen, um die "künstlerische Mobilisierung".
Im vergangenen Herbst, nach einer Theaterprobe, spazierte ich entlang der Sihl und
entdeckte einen Graureiher, auf einem Stein ruhend und in die Ferne blickend. In
diesem Moment wurde mir klar, dass meine bereits erarbeitete Figur erstaunliche Ähnlichkeit mit diesem
Vogel hatte. Seine eleganten Bewegungen, die Art und Weise wie er seinen langen
Hals und den Kopf ruckartig und plötzlich drehte, wie er stolz und bedächtig durch
das Wasser schritt und dabei mit scharfem Blick die Umgebung inspizierte. All das
spiegelte die Charakteristik meiner Figur wider. Ich hatte mich zuvor schon zwei
Wochen lang intensiv mit der Körperlichkeit meiner Figur beschäftigt, jedoch fehlte
mir der richtige Zugang. Ich war gefangen in eigenen Mustern und mir mangelte es
an Inspiration. Angeregt vom Anblick dieses Reihers begann ich, auf eine neue Art
und Weise zu spielen und fühlte mich befreit.
Die Schauspielmethode Animal Work wird von Schauspielenden in der
Rollenvorbereitung, sowie zum Teil auch während der Vorstellung als Technik
genutzt, um sich von den eigenen gewöhnlichen Verhaltensmustern zu lösen und
eine tiefere Verbindung zu ihren Charakteren herzustellen.
Ziel meiner Arbeit ist es, mich intensiver mit der Technik der «Tierarbeit»
auseinanderzusetzten und konkrete Probeansätze zu finden, die es mir ermöglichen
Figuren vielseitig darzustellen. Zusätzlich möchte ich auf den «Intellekt» und das
«Ego» bei Spieler:innen eingehen und deren Auswirkung auf das Spiel untersuchen.
Darüber hinaus will ich die «Tierarbeit» mit ihrem körperlichen Zugang im Vergleich
zur Erarbeitung der Rolle über den «Intellekt» und dessen psychologischen Zugang
vergleichen.
Mit folgenden Fragen möchte ich mich befassen:
• Inwiefern kann die Anwendung von Tierarbeit die Figurengestaltung
unterstützen?
• Welche Aspekte der Tierarbeit stehen im Kontrast zur Arbeit über den Intellekt
& das Ego?
• Besitzt die Praxis Animal Work auch im zeitgenössischen Theater Relevanz,
und wenn ja, welche Bedeutung kommt ihr zu?
Ich habe mich mit dem Gilgamesch-Mythos befasst, da seine Figur in einem
konstanten Moment der Unverfügbarkeit existiert. Es fehlt ihm an Gleichgesinnten. In
sein Leben tritt Enkidu, der für kurze Zeit in der Lage ist, ihm zu entsprechen. Als
Enkidu verstirbt sehnt sich Gilgamesh nach einem Substitut, der Unsterblichkeit.
Erika Fischer Lichte schreibt in ihrer Abhandlung über die Ästhetik des
Performativen, dass die liminale Erfahrung sich auch aus dem Zustand des
Unverfügbaren ergibt1. Sie bezieht sich darin auf Publikums Situationen, in denen
dem Zuschauenden der Zugriff auf bisher Bekanntes durch unklare Verhältnisse zum
Bühnengeschehen genommen wird. Die gewohnten Sehmuster werden gebrochen.
Der Observierende kann die Vorgänge nicht mehr klar einordnen und begibt sich
somit in einen liminalen Zustand.
In meiner Ausbildung als Schauspieler ist die Motivation einer Figur oder der Antrieb
hinter einem performativen Text die Ausgangslage, um im Auftritt klare Richtungen
zu verfolgen und in eine Lesbarkeit zu treten. In dieser Bachelorarbeit möchte ich
mich mit der Frage beschäftigen, was einer Motivation zugrunde liegt.
Wir sollten uns mehr auf die «Beziehung zur Welt» fokussieren, die unser Leben
maßgeblich beeinflusst. Aufgrund «der Steigerungslogik des Kapitalismus» auf
kollektiver und individueller Ebene, mit der wir in der Moderne konfrontiert sind, werde
diese Beziehung zunehmend gestört, so Rosa. Dem Prozess der Beschleunigung wohne wiederum eine «Eskalationstendenz» inne, deren Resultat eine grundlegende Veränderung
der Stellung von uns Menschen zur Welt sei. Die gegenwärtig wesentlichen
Krisentendenzen, die Rosa diagnostiziert, sind eine durch den Klimawandel bedingte
ökologische Krise, eine «Psychokrise», die sich in Burnout widerspiegelt sowie die Krise
unserer Demokratie, die er mit «Politikverdrossenheit» beschreibt.
Rosa zufolge sei Langsamkeit nicht die Lösung als Reaktion auf die Beschleunigung in
der heutigen Zeit. Vielmehr sei «eine neue Beziehung zur Welt, die er mit Resonanz
beschreibt,» anstrebenswert. «In diesem Zustand versucht der Mensch nicht, die Dinge
zu kontrollieren und schnell und effizient zu handhaben. Vielmehr lässt er sich von
Begegnungen mit Anderen, von Orten, von Musik, der Natur berühren und erlaubt diesen,
etwas in ihm zum Schwingen zu bringen.»
Als Schauspielstudentin und angehende Schauspielerin befasse ich mich täglich mit
Schwingungen. Schwingungen meiner Stimme in meinem Körper, Schwingungen im
Raum, Schwingungen zwischen mir und Mitspielenden, Schwingungen zwischen mir und
dem Publikum. Im nachfolgenden Kapitel wird der Zusammenhang zwischen dieser
Erfahrung zu Rosas Werk deutlich, indem Schwingungen als Teil des Resonanzbegriffes
herausgearbeitet werden.
Resonanz von Hartmut Rosa ist mir im bisherigen Verlauf meines Studiums bereits
mehrmals begegnet. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit untersuche ich, inwiefern dieser
von mir wahrgenommene Zusammenhang zwischen Schwingungen im Ausüben des
Schauspielberufes und der Resonanztheorie von Hartmut Rosa besteht. Ich stelle die
Frage:
Inwiefern werden Resonanzbeziehungen nach Hartmut Rosas Definition
im Theater zwischen den Spielenden und dem Publikum gelebt?
Die vorliegende Arbeit bildet den theoretischen Teil meiner Beschäftigung mit dem
Thema des Klauens in der Kunst, speziell im Schauspiel. Die Thematik dieser
theoretischen Arbeit entspringt meinem Interesse an der Auseinandersetzung mit
den Grenzen des Eigentums: Was ist Eigentum, wo beginnt es? Was sind die
philosophischen Ideen dazu? Was unterscheidet das materielle vom immateriellen
Eigentum? Deshalb liegt der Schwerpunkt auf Recherchearbeiten zu
rechtsphilosophischen Hintergründen und historischer Entwicklung von
Urheberrechten, wohingegen ich mich in der praktischen Arbeit mit dem Gegenpart,
nämlich dem Aneignen von fremden schauspielerischen Werken beschäftigt habe.
Außerdem möchte ich mich im letzten Teil dieser Arbeit mit der Frage
auseinandersetzen, die sich aus dem Zusammenspiel der theoretischen und
praktischen Arbeiten ergibt: Bis zu welchem Punkt ist es für mich moralisch in
Ordnung, mir fremdes geistiges Eigentum anzueignen? Diese Frage ist für mich
zukunftsweisend für meine eigene künstlerische Praxis.
Wir alle kennen es. Wollen es. Meinen, es zu brauchen. Anerkennung, Lob,
Bewunderung. Bloß nicht austauschbar oder mittelmäßig sein. Und dennoch scheint
darüber wenig gesprochen zu werden. Es mutet an wie eine stumme
Unzulänglichkeit. Ein “niederes” Gefühl, das zwar zutiefst menschlich ist, aber nicht
nach außen getragen werden soll.
Diese Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit dem Streben nach „Besonderheit“, der
gesellschaftlichen Produktion von Einzigartigkeit, und der Frage, wie und auf welche
Weise sich dies im Berufsfeld Schauspiel niederschlägt. Welche historischen,
kulturellen und ökonomischen Implikationen hat es? Darüber nehme ich den
hoffentlich nicht allzu kulturpessimistischen Weg über einige Gesellschaftstheorien
zur Funktion des Wettbewerbs und Narzissmus als gesellschaftlicher Funktionslogik.
Um nachzuvollziehen, woher dieser, wie Kae Tempest es formuliert „zerstörerischer
Wunsch nach Anerkennung“ rührt. Um festzustellen, dass das nicht nur eine
individuelle Charaktereigenschaft, sondern eine alles durchdringende Funktionslogik
ist, die mich zwar in meinem alltäglichen Handeln beeinflusst und zeitweise belastet,
die aber nicht gegeben und somit auch verschiebbar ist.
Nicht zuletzt möchte ich mich mit der Frage nach alternativen Räumen
auseinandersetzen, in denen künstlerische oder kreative Praktiken fernab oder
zumindest entgegen dem Dispositiv der Einzigartigkeit passieren können. Welche
Praktiken, Räume und Modi wirken der Singularität, die dem Wunsch nach
Anerkennung innewohnt, entgegen?
Ich kam müde in London an. Ich hatte mein Fahrrad in einem großen Karton und meinen Reiserucksack, in dem ich über Nacht alle Sachen reingeworfen habe, die ich für einen 5 Monate langen Auslandsaufenthalt für wichtig gehalten hatte. Am Vorabend hatte ich Dernière erlebt von meinem selbstgeschriebenen und inszenierten 60-minütigen Kindertheaterstück mit einem 9-köpfigen Ensemble, in dem ich zusätzlich die Hauptrolle übernahm. Ich hatte noch kein Zimmer und schlief die ersten zwei Nächte bei einem Bekannten auf der Couch. Zwei Jahre Schauspielstudium lagen hinter mir, in dem ich unglaublich viel gelernt hatte, in dem ich aber auch an meine persönlichen Grenzen gekommen war. In dieser Zeit sind meine Kindheitswunden wieder aufgegangen, die ich dachte, hinter mir gelassen zu haben. So lag ich teilweise auf dem Nachhauseweg auf dem kalten Boden und wollte nicht mehr aufstehen. Fremde Menschen, Freund:innen über Telefon, Kommiliton:innen haben mich aufgelesen und nachhause gebracht. London erschien mir als Flucht und darin als eine Chance aus meinem eigenen Hamsterrad zu entkommen. Nach ein paar Wochen in London entstand das Gedicht „Destruction“, als wäre es schon immer in mir drin gewesen, als hätte es lediglich Form angenommen. Mit diesem Gedicht bin ich durch London getourt. Ich habe es an unterschiedlichsten Orten vor unterschiedlichsten Menschen performt und jedes Mal hatte ich danach eine Schar von Leuten um mich rum, die berührt und dankbar waren, dass ich es geteilt hatte. Die Reise mit dem Gedicht war nach meinen Begegnungen in London nicht vorbei - es ging danach weiter. In mir, in den Menschen, in Freundschaften, in Gesprächen. In dieser Arbeit möchte ich die Entstehung, Umsetzung und Wirkung meiner autobiografischen Solo-Performance mit „Destruction“ untersuchen unter der Leitfrage: Wie kann die Autobiografie in der Performancekunst als Mittel genutzt werden, um kommunikative Räume zu eröffnen?