Im Jahr 2017 unternahm ich eine Reise nach Graz, um dort am Jubiläum des Festivals steirischer herbst teilzunehmen. Seit nunmehr 50 Jahren lud der steirische herbst Künstler*innen aus aller Welt und allen zeitgenössischen Kunstsparten ein, um ihre Arbeiten zu präsentieren. Theater, Performance, Tanz und Film fanden (und finden) gleichsam Eingang ins Festivalprogramm wie Literatur, Musik, Architektur oder Kunsttheorie. Im Rahmen dieses meines Besuchs in Graz verschlug es mich an eine Veranstaltung namens SOCIAL MUSCLE CLUB1 – in der folgenden Arbeit werde ich das Format meistens mit der Abkürzung SMC benennen. Der SMC war an diesem interdisziplinären Allspartenfestival auf jeden Fall gut aufgehoben, ist es doch kaum möglich, ihn einer bestimmten Kunstsparte zuzuordnen: An einem SOCIAL MUSCLE CLUB gibt es vielleicht ein Konzert oder vielleicht etwas zu Essen, vielleicht werden dir Tarotkarten gelegt oder es liest jemand ein Gedicht für dich, vielleicht wird der Nahostkonflikt erklärt oder jemandem ein Tattoo gestochen, vielleicht tanzt du selber allen anderen etwas vor – und vielleicht geschieht auch all das zusammen an so einem SMC. Eins hingegen steht fest: An einem SMC finden immer Begegnungen statt. Herzliche, intime, womöglich bisweilen auch irritierende Begegnungen zwischen Menschen, die zuvor noch nie ein Wort miteinander gewechselt haben. So fiel denn auch mein Entscheid, mich eingehender mit dem Format SMC zu beschäftigen, als ich an diesem denkwürdigen Abend in Graz mit einem Haufen mir (nunmehr fast) wildfremder Leute in Gummistiefeln und mit Taschenlampen ausgerüstet durch die städtische Kanalisation spazierte. Wir leuchteten einander die besonders glitschigen Stellen, unsere Stimmen verwoben sich in der Dunkelheit zu «Sound Of Silence» von Simon & Garfunkel und schliesslich – so eine Kanalisationswanderung macht hungrig! – schlugen wir uns in einer Pizzeria gemeinsam die Bäuche voll. Wie schnell sich da viele kleine Bändchen zwischen unterschiedlichsten Menschen geknüpft hatten, faszinierte mich. Dies kam nicht von ungefähr: In den vergangenen Jahren ist mir immer mehr bewusst geworden, dass mein ganz allgemeines Hauptinteresse dem Menschen als soziales Wesen gilt; die Verfolgung des übergeordneten Ziels eines solidarischen Zusammenlebens sinnstiftend meinen Lebensstil prägt. Den Beruf der Theaterpädagogin habe ich nicht zuletzt deswegen gewählt, weil er für mich aussergewöhnlich viel – im wahrsten Sinne des Wortes kreativen – Nährboden für Auseinandersetzungen in diese Richtung bietet. Es beschäftigen mich etwa derartige Fragen: Wie wollen wir zusammenleben, einander behandeln, einander begegnen? Können wir den Sinn des Lebens und die eigene Befriedigung nicht am profundesten in unseren menschlichen Beziehungen finden? Und was wären ernstgemeinte Folgerungen aus dieser These - gerade auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen und politischen Systemen bzw. (sozialen) Konventionen? Der SMC schien (und scheint) für mich auf geniale Weise solche Fragen verdichtet und so niederschwellig wie unprätentiös zu thematisieren – und trifft damit genau in die Ecke, in der ich mich in Zukunft künstlerisch verwirklichen bzw. beruflich betätigen möchte. So ist es also gekommen, dass er, der SOCIAL MUSCLE CLUB – bzw. das Begegnungsmoment der SMC-Veranstaltungen – zum zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Masterthesis avancierte.