„Die Gegenwart ist erschöpft, weil das Gefühl des Getriebenseins an die Stelle des
sinnvollen Handelns getreten ist. Die Individuen in den westlichen Gesellschaften
klagen trotz eines nie gekannten Wohlstands an Gütern und Muße über Depression
und Überforderung.“
Peter Sloterdijk beschreibt unsere Gegenwart als „erschöpft“: als depressiv und überfordert. Offenbar haben Wohlstand und Individualisierung in den westlichen Gesellschaften seit Kriegsende zwar zu einer ausdifferenzierten, funktionierenden und geregelten Form des Zusammenlebens geführt, aber nicht zu individuell empfundenem Glück. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler spricht in Bezug auf den Zustand der westlichen Zivilisationen gar von „postheroischen Gesellschaften“. Diese seien „in der Regel mit sich eins“. Diese innere Einheit kann als Merkmal einer antriebslosen, von Widersprüchen nahezu bereinigten gesellschaftlichen Oberfläche gedeutet werden. Aus einer solchen Perspektive betrachtet, mag es überraschen, dass Massenmedien wie Fernsehen, Kino und Computerspiele ungebrochen auf die Omnipräsenz von modernen Heldenbildern setzen – und damit offensichtlich ein Bedürfnis befriedigen. Hollywood feiert den Erfolg seiner Superhelden-Filme im Kino und bricht Besucherrekorde am laufenden
Band. Der Sport stilisiert Fußballspieler zu Nationalhelden, sog. „Helden des Alltags“
hängen an den Wänden von Baumärkten und werden in der Werbung zu Heilsbringern
erklärt.4 Jeder kann heutzutage Star werden, suggerieren Fernsehsendungen wie Das
Supertalent, und da Stars aus Film und Rundfunk nahezu kultische Verehrung erfahren, lässt sich die Annahme formulieren, dass auch postheroische Gesellschaften an Heldenkonstruktionen festhalten.
Was macht die bis heute ungebrochene Faszination von multimedialen Heldendarstellungen aus? Und ist dies vor dem Hintergrund einer als postheroisch definierten Zivilgesellschaft nicht paradox?
An dieses komplexe Spannungsfeld nähert sich diese Arbeit an und untersucht im ersten Abschnitt, wie sich ein zeitgenössisches Heldenbild vor dem Hintergrund einer
postheroischen Zivilgesellschaft erklären und definieren lässt. Im weiteren Verlauf befasst sich die Thesis mit der Darstellung der ambivalenten Figur des Driver aus dem Film Drive (2011) von Regisseur Nicolas Winding Refn und analysiert die Mechanismen, die zur Konstruktion dieser Heldenfigur beitragen. In einem weiteren Teilkapitel folgt die Projektbeschreibung und Analyse der Performance I AM RYAN, die der Autor selbst entwickelt hat, und bei der es um die Ambivalenz zwischen heroischem Starkult und der Person hinter dieser Fassade geht. Warum sich der Schauspieler Ryan Gosling besonders als Folie für die Untersuchung einer zeitgenössischen Heldenkonstruktion eignet, wird an verschiedenen Stellen diskutiert. Dabei wird der Hauptthese dieser Arbeit nachgegangen: der Annahme, dass sich in der durch Gosling verkörperten Figur des Driver ein neuer Heldentypus manifestiert, ein unheroischer Held für eine nachheroische Gesellschaft.
Niemand darf sich verloren fühlen. Mit diesem Satz haben wir die Arbeit in unserem neuen Projektraum Nordflügel an der Gessnerallee Zürich aufgenommen. Wir, das ist das Zürcher Kollektiv FRICTION, welches sich zwischen künstlerischer und kuratorischer Praxis bewegt und Räume bespielt und programmiert, welche die Grenzen zwischen Theater und Bildender Kunst verschwimmen lassen.
Diese Bachelorarbeit ist wie folgt aufgebaut:
In Kapitel 2 lege ich, ausgehend von eigenen Erfahrungen, kurz meine Eindrücke der Zürcher Szene dar um meine Motivation für dieses Thema aufzuzeigen und die Strukturen zu verstehen in denen Begegnungen stattfinden. Kapitel 3 ist eine Einordnung partizipatorischer Kunst in den historischen Kontext. Während meiner Recherche und Annäherung an das Thema hatte ich es viel mit Positionen zu tun hatte, welche die Partizipation thematisieren. Da ich Begegnung auch als eine Aktivierung der Zuschauer denke, scheint es natürlich einen kurzen Abriss zu geben, wie Relationen von Gästen bereits in der Kunst gedacht und praktiziert wurden. Dabei gehe ich auf die Partizipation in der Bildenden Kunst und im Theater ein und beende das Kapitel mit einer Position, die die Ausstellung als Performance denkt und die Frage stellt, ob der Besuch einer Ausstellung möglicherweise nichts anderes als ein performatives Ereignis ist.
Das vierte Kapitel kontextualisiert kurz die Arbeit von FRICTION, um, ausgehend von ihren
zum Teil künstlerischen, aber auch kuratorischen Settings, die sich zwischen Bildender Kunst
und Theater/Performance bewegen, auf ein performatives Setting zu kommen, welches alle
Elemente einer Veranstaltung als eine Art Performance denkt, und somit auch die Begegnung
zwischen den Gästen in den Vordergrund stellt.
Kapitel 5 stellt eine Denkbewegung durch sechs unterschiedliche Theorien dar, durch die ich mich einer künstlerischen Praxis nähere, die Begegnung zum Gegenstand hat.
In der vorliegenden Thesis sammle und ordne ich Schlüsse von Dramentexten und Theateraufführungen. Als Aufführung verstehe ich dabei entsprechend der Definition von Fischer-Lichte ein Ereignis, das aus der Konfrontation und Interaktion zweier Gruppen von Personen hervorgeht, die sich an einem Ort zur selben Zeit versammeln, um gemeinsam eine Situation, also eine zeitlich, räumlich begrenzten Zusammenhang von Personen, Elementen und Sachverhalten zu erleben1. Da ich mich sehr stark mit klassischen Erzählmustern beschäftige (vgl. Kapiel 2), schliesst die Untersuchung auch Filme mit ein. Ausserdem widme ich einen Teil der Arbeit dem Ende, welches ich zeitlich nach dem Schluss verorte. (vgl. „Ende und Schluss“) Die Sammlung aller gefundenen Schlüsse und Enden wird zum Anfang einer „Endzyklopädie“, also einer Enzyklopädie der Enden. Ich untersuche den Schluss oder das Ende so nicht anders vermekt aus der Sicht des Rezipienten, also des Publikums und meine mit Publikum jene Menschen, die sich die Aufführung anschauen mit der Darbietung das (theatrale) Ereignis ausmachen.