„Jeder Mensch ist ein Künstler“. Dieses sehr umstrittene Zitat des bekannten deutschen Aktionskünstlers Joseph Boyce klingt nahezu inflationär. Es sagt nicht nur aus, dass sich ein jeder Mensch mit allen Facetten der Kunst befassen könne sondern auch, dass in jedem ein Künstler stecke – mit Leib und Seele. Der Künstler Raymond Unger1 hingegen beschreibt dieses Zitat als „fatal“, da es „gerne aus dem Zusammenhang gerissen wird“ und die Komplexität des Künstlerdaseins sozusagen herunterspielt. Das Zitat umfasse nämlich weiter, dass der Mensch nur dann ein Künstler sein könne, sofern „er die ständige Konfrontation mit dem eigenen Ich riskiert“. Und ein Risiko impliziere immer die Möglichkeit zu scheitern. Die Angst des Scheiterns wiederum, so Unger, kann dann sogar zu Selbstboykott und Blockaden führen – ganz gleich, in welcher künstlerischen Disziplin sich der Akteur befinde.
In der Regel kennen besonders Schauspieler solche Blockaden, die während Proben oder Aufführungen zu Problemen führen und sich durch Lähmung, Stillstand und Isolation äußern. Die Intuition und Durchlässigkeit gerät ins Stocken und der Schauspieler greift offensichtlich notgedrungen auf klischierte und konventionelle Methoden zurück, die weder ihn selbst noch den Zuschauer, Dozenten oder Mitschüler beflügeln. Doch der Schauspieler ist in seiner Profession und Eigenart auf seine Intuition und Durchlässigkeit angewiesen – dies zeichnet ihn als Künstler erst aus! Wenn diese Eigenschaften jedoch blockiert werden, kann er seiner Profession nicht gerecht werden.
Dies scheint ein großes Problem zu sein – sowohl für die handelnden Akteure auf der Bühne in der Aufführung als auch in der Schauspielausbildung. Gibt es Möglichkeiten, diesen Blockaden entgegen zu wirken oder einen Umgang damit zu finden? Der britische Regisseur Declan Donnellan behauptet, das ein sogenanntes zielgerichtetes Handeln auf der Bühne eine Möglichkeit der Überwindung von Blockaden sei. Die folgende Arbeit befasst sich folglich mit der Auseinandersetzung zielgerichtetem Handeln in Bezug auf Sprache auf der Bühne. Um eine Antwort auf die oben genannte Frage zu bekommen oder zumindest eine Annäherung zu erreichen, wurde eine einwöchige Probephase mit zwei Schauspielern durchgeführt. Die Zürcher Hochschule der Künste bietet für Regie- und Schauspielstudenten jedes Jahr im März die Möglichkeit, sich mit den Kommilitonen und Kommilitoninnen zusammenzuschließen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Für die Probe, als eigene Untersuchung für diese Arbeit, wurde ein Dialog aus dem Stück Maria Stuart verwendet, um zu überprüfen, ob das zielgerichtete Spiel nach Donnellan tatsächlich zur Vermeidung von Blockaden führen kann.
Die Arbeit besteht aus einem theoretischen und praktischen Teil und ist wie folgt aufgebaut. Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Buch „the actor and the target“ von Declan Donnellan auseinander. Hier werden die für die praktische Arbeit relevanten Punkte genauer betrachtet. Da in dieser Arbeit die Sprache als Kommunikationsmedium aus dem zielgerichteten Handeln untersucht wird, wird in Kapitel drei die „Sprache auf der Bühne“ mit der Sprechakttheorie verglichen, um das Phänomen „Sprache auf der Bühne“ mit Hilfe von wissenschaftlichen Begriffen genauer einzugrenzen. Anschließend folgt der praktische Teil der Arbeit. Kapitel vier gibt einen exemplarischen Einblick in die einwöchige Probenphase mit zwei Schauspielern. Hier soll ein für den Leser nachvollziehbarer Eindruck entstehen, wie mit Donnellans Auffassung praktisch umgegangen werden kann und ob sich die Sprechakttheorie effektiv anwenden lässt. Abschließend wird die Stellungnahme der beiden Spieler zum zielorientieren Handeln auf der Bühne und Blockaden ausgewertet und interpretiert. Die Arbeit schließt mit einem Fazit ab (Kapitel fünf).
So wie Alice in Lewis Carrolls Märchen durch das Hasenloch nach Wunderland kommt, reisen immer mehr Menschen in Welten, die wie von einem anderen Planeten erscheinen. Sie reisen in mystische Wälder, skurrile Stadtteile, unbekannte Wüstenlandschaften, oder gleich ganz in fremde Galaxien. Doch diese Orte befinden sich nicht auf anderen Himmelskörpern, sondern in unseren Theatern und Kulturzentren. Die Rede ist von Immersive Theatre. Einer Theaterform, die versucht mit den Sehgewohnheiten von Publikum und Theatermacher_innen2 zu brechen, um neue Formen von Geschichten und Erzählungen zu ermöglichen. Immersive Theatre ist eine Kombination aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen, mit dem Ziel sinnliche und multimediale Erlebniswelten zu erschaffen, durch die sich Besucher_innen selbstständig bewegen können. Dieser Theaterform widmet sich der Autor in der vorliegenden Thesis, um herauszufinden, wie sehr sich das Immersive Theatre als Format zum Erproben von Politischer Partizipation eignet. Ausgangspunkt hierfür, ist die Produktion Fordlandia, die vom Autor als Abschlussprojekt des Bachelorstudiums in Theaterregie an der Zürcher Hochschule der Künste konzipiert und produziert wurde. Der Autor untersucht, welche Aspekte und Methoden von Immersive Theatre Beteiligung, gesellschaftliche Teilhabe, Meinungsbildung und das Umsetzen von Entscheidungen ermöglichen und wie diese auf das Leben innerhalb einer Gesellschaft angewendet werden können. Im ersten Teil der Arbeit, wird das Immersive Theatre anhand seiner Grundlagen und Bedingungen definiert und ausführlich auf die wesentlichen Aspekte dieser Theaterform eingegangen. Anschließend folgt ein Einblick in die Ursprünge dieser Kunstform und die verschiedenen Strömungen, die sie bis heute beeinflussen. Der erste Teil schließt mit einem Text über das persönliche Verhältnis des Autors zum Immersive Theatre.
Auf die Einordnung und Abgrenzung der Theaterform, folgt eine Definition des Begriffes Politische Partizipation. Der Autor stellt dafür drei wesentliche Kategorien auf, die in diesem Kapitel betrachtet werden. Im nächsten Teil folgt eine Beschreibung des Projektes Fordlandia.
Die Erprobung Politischer Partizipation wird im Kapitel 5 anhand verschiedener Kriterien, z.B. dem Ort und der Architektur, sowie dem Potential des Publikums, befragt und es wird untersucht, wie genau diese Kriterien politisches Handeln ermöglichen und initiieren können.
An diesen Teil schließt ein Kapitel über die Schwierigkeiten von und Kritik am Immersive Theatre, sowie das Fazit der Arbeit an.
In einem umfangreichen Anhang, werden die in der Arbeit erwähnten Arbeiten durch Bilder ergänzt. Auf diese wird im Text verwiesen. Alice stürzt in den Hasenbau, weil ihr Interesse und ihre Neugier Überhand nehmen. Das junge Kind wird in eine Welt entführt, die unvorstellbar und sehr merkwürdig ist. Sie muss sich Gefahren und Aufgaben stellen, trifft verrückte und sonderbare Gestalten, wächst jedoch über sich heraus und meistert mit ihrem Mut und ihrer stets höflichen Art ein großes Abenteuer. Als sie wieder in unserer Welt ankommt, ist aus dem jungen Kind ein selbstbewusstes, starkes Mädchen geworden und ihr Sinn für Gerechtigkeit und Respekt lassen sie aufrecht und fröhlich durch das Leben gehen. Als Metapher für das Immersive Theatre funktioniert die Geschichte vom Wunderland hervorragend. Wie Alice, können Besucher_innen verändert und zum Handeln ermuntert aus einer Inszenierung gehen. Was dieses Handeln auslösen und befeuern kann, ist die Frage, die der Autor mit dieser Arbeit an das Theater und seine Macher_innen und Besucher_innen stellt.