Warum entsteht bei Anwesenden einer sozialen Situation ein Moment der Präsenz, wenn bestimmte Konventionen durch Individuen gebrochen werden?
Es bietet sich an, dieser Frage durch verschiedene Disziplinen zu begegnen, schneidet sie doch sowohl Phänomene sozialer Ordnung als auch psychische Funktionsbereiche an.
Ebenso würde sich ein Zugriff zur Erforschung über die Kunst anbieten, da die Kunst «jene gesellschaftliche Betätigung [ist], in der sich die Gesellschaft vorführt, wie prekär ihre Identitäten und Formen sind und wie diese dennoch und zuweilen erst deswegen gesichert werden können.»
Im Folgenden soll sich anhand eines interdisziplinären Zugriffs der Forschungsfrage genähert werden, und so soll der Bruch von Konventionen und seine Konsequenzen in einer Performance der Performancekünstlerin Marina Abramović näher betrachtet werden.
Seit dem "performative turn" geniesst der Präsenzbegriff in den szenischen Künsten, in der Theorie wie auch in der Praxis, ein hohes Ansehen. Eine Aufführung ereignet sich nach Definition im Vollzug einer Handlung, bedingt durch die leibliche Ko-Präsenz von AkteurIn und ZuschauerIn.
Die Verwendung des Präsenzbegriffes geht dabei gemeinhin einher mit der Idee des Unmittelbaren, des Direkten, mit Intensität, Energie und Expressivität. Eine hohe Bühnenpräsenz zu haben ist ein verbreitetes Kompliment für SchauspielerInnen, während Präsenz, als performative Unmittelbarkeit verstanden, im Zuge der Repräsentationskritik zur wichtigen Strategie wird, sich der Problematik der Darstellung zu entziehen.
Will das Theater ein kritischer Ort bleiben, der sich der „Logik des Spektakels“ entzieht, statt sie zu reproduzieren, scheint es dringlich, den Begriff in seiner Dominanz zur Beschreibung, Bewertung und Produktion von Aufführungsereignissen einer kritischen Reflexion zu unterziehen.
Ich möchte mich dem Präsenzbegriff annähern, der dem menschlichen Leib zugesprochen wird.
Was unterscheidet die bloße Anwesenheit eines Körpers von einem Körper, den man präsent wahrnimmt.
Genauer möchte ich den Unterschied zwischen Alltagspräsenz und Bühnenpräsenz untersuchen und
herausfinden, ob und wenn ja, welche Unterschiede es gibt.
Mein Ziel ist es, mögliche Regeln abzuleiten, nach denen man im Alltag aktiv an seiner Präsenz arbeiten kann.
Hierbei geht es mir nicht um verschiedene Schauspielmethoden bekannter Theatermacher oder esoterische Erläuterungen von Präsenz, sondern um klare, wiederholbare und allgemeine Regeln.