Im Spanischen wird der Begriff descarga sowohl für das Abladen eines schweren Gewichts als auch für elektrische Entladung und den Download aus dem Internet verwendet. In der lateinamerikanischen Musik sind Descargas lebhafte musikalische Darbietungen für ein kleines Publikum, bei denen die Interpret:innen nach Virtuosität und intensivem persönlichen Ausdruck streben. Descargas III ist ein Werk für Improvisationsensemble, das für die Aufführung mit der Software PolytempoNetwork bestimmt ist. Descargas III versucht somit, eine neue Art des musikalischen Austauschs in Echtzeit zu eröffnen, der eine hochspezifische Struktur und Notation mit der Virtuosität und Frische der Improvisation verbindet.
With a droc instead of a borbin ist eine Zeile aus der englischen Übersetzung von Raymond Queneaus Exercices de style, einer virtuosen Sammlung von 99 Nacherzählungen der gleichen Kurzgeschichte. Inspiriert von Queneaus Forschungen über über Rekontextualisierung und Ästhetik, versucht dieses Werk für Sextett, vertraute (und vielleicht müde) Tropen des Jazz-Idioms zu untersuchen, einschliesslich rubato-solo-piano-intro-to-a-ballad, drum-solo-over-rhythmic-hits und burning-saxophone-solo-that-overstays-its-welcome.
Disaster Taxa umfasst fünfzehn tempopolyphone Miniaturen für improvisierende Musiker:innen. In der Evolutionsbiologie sind Katastrophentaxa Arten, die durch Massenaussterben freigewordene ökologische Nischen ausfüllen. Die gemeinsame Verwandtschaft wird durch den Verlust von Zwischenformen verdeckt, wobei die überlebenden Organismen neue, äusserst vielfältige Ökosysteme hervorbringen. Aus den durch Zusammenbruch und Scheitern hinterlassenen Lücken ergeben sich völlig neue Möglichkeiten.
Irgendwo anders, an abgelegenen Orten, werden Klänge erzeugt. Auf der Bühne vor uns versucht jemand, die von diesen abgelegenen Orten empfangenen Signale zu ent- schlüsseln und sie uns zu vermitteln. Wie viel von der ursprünglichen Botschaft bleibt erhalten, wie viel geht verloren? Wie originalgetreu ist das dekodierte Signal, und wie stark ist es manipuliert? Erfolgt diese Manipulation absichtlich oder ist sie das Ergebnis menschlichen Versagens? Wie zuverlässig und effektiv ist die Dekodierungstechnologie? Sind sich die Tonerzeuger in der Ferne der Tatsache bewusst, dass jemand irgendwo ihre Signale aufnimmt und hörbar macht? (Alessandro Perini)
In diesem Stück möchte ich die Idee umsetzen, dass jede Tempoebene nicht verschiedenen Instrumenten zugewiesen wird, sondern verschiedenen Aktionen, die auf ein und demselben Instrument, in diesem Fall die E-Gitarre, zusammen kommen. Ich stelle mir einen mehrgliedrigen Körper vor, bei dem jedes Glied von der Bewegung der anderen Gliedmassen unabhängig ist. Da sie aber über den selben Körper verbunden sind, werden die Aktionen des einen Gliedes die Aktionen der anderen beeinflussen. Ich möchte das Konzept der Tempopolyphonie in Bezug auf die Klangstrukturen, aber auch in seinen choreographischen Möglichkeiten für ein Ensemble, das ein einziges Instrument spielt und teilt, ausloten. (Andrés Guadarrama)
Die drei Instrumente des Stücks bewegen sich je in unterschiedlichen Zeitstrukturen, die eng beieinander, aber dennoch voneinander getrennt existieren. Sie scheinen ständig kurz davor zu stehen, sich miteinander zu synchronisieren, ohne jedoch jemals eine Auflösung zu erreichen. In diesem Sinne erforscht das Stück verschiedene Grade der Annäherung an Synchronität und an jenen fliehenden Moment, in dem Synchronisation schliesslich eintritt. Die Stimmung der Klaviatur folgt einer ähnlichen Logik und entwickelt sich mit der Zeit, als wäre sie eine zusätzliche Tempolinie, die zu einem Gesamtgefühl harmonischer Entfremdung beiträgt. Der Kompositionsprozess erforderte einiges an Ausprobieren, da polytemporale Strukturen anfangs nicht intuitiv sind. Glücklicherweise ermöglicht die Polytempo-Software derartige Experimente und überbrückt mit ihrer intuitiven visuellen Schnittstelle die Kluft zu den Interpreten. (Adrián Artacho)
Drei – vielleicht doch vier Politiker suchen den Konsens. Vergeblich. Gesetz hin oder her, die Revolte ist unausweichlich.
Mit Polytempo habe ich mit einer für mich neuen Art der Kommunikation zu tun. Mich interessiert dabei, einen neuen Weg zu finden mit relativ einfachen musikalischen Mitteln vielfältige Texturen und Gefüge entwerfen zu können. Und zwar als notierte wie als improvisierte Musik. (Leonardo Idrobo)
Das englische Wort 'bleed' trägt verschiedene Bedeutungen. Für mich ist die Verwendung im Zusammenhang mit Druck und Zuschnitt besonders interessant. Hier bezeichnet 'bleed' die überschüssig bedruckte Fläche, welche durch den Zuschnitt zwar entfernt wird, aber für das Bedrucken der Druckfläche bis zu den Rändern notwendig ist. Der Überschuss geht dabei verloren, bleibt im Ergebnis unsichtbar, ist aber erforderlich für die Gestaltung. Neben dem Zuschnitt von Klängen und formalen Bereichen ist die künstlerische Forschung im Feld polytemporaler Musik seit einiger Zeit ein fester Bestandteil meiner kreativen Auseinandersetzung. In 'bleed' gibt es sehr lang gezogene Beschleunigungen, welche aus einem gemeinsamen Puls erwachsen, durch veränderte Teilungen und Taktmasse diesen aber wieder erreichen, ohne dass ein Prozess umgekehrt werden muss. (Tobias Fandel)
Tempopolyphonie kann in unterschiedlichster Weise gestalterisch eingesetzt werden. Für dieses Stück habe ich mich entschieden, sie für einmal ganz offensichtlich und unverstellt an der klanglichen Oberfläche erscheinen zu lassen. Das musikalische Material besteht weitgehend aus regelmässigen Pulsfolgen und wiederholten Mustern, die einander gegenüber stehen, rhythmisch einrasten oder frei nebeneinander her laufen, konstant bleiben oder sich auflösen. Die Grundstimmung der daraus entstehenden Musik ist ruhig und reduziert und besitzt die Nüchternheit einer Versuchsanordnung. (Philippe Kocher)
Mit der Besetzung dieses Stückes – E-Gitarre, Saxophon, Klavier und Schlagzeug – würde es nicht viel brauchen, um wie eine Rock- oder Jazzband zu klingen. Wenn ich mich in meiner kompositorischen Arbeit für Rock- oder Jazzklänge interessiere, so geht es mir dabei weniger um eine Collage verschiedener Stil-Elemente, als eher um die Integration dieses klanglichen Materials. Die Software 'Polytempo Composer' des ICST ermöglichte es mir, aus einfachen, energiegeladenen Elementen eine polyphone Komplexität aufzubauen. (Mathieu Corajod)
Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit den Möglichkeiten, die das Polytempo-Net- work bereitstellt. Drei meiner letzten Arbeiten waren dabei künstlerische Auseinander- setzungen mit live generierten offenen und modularen Formen. 'gravities I' ist nun eine Studie (zu einer grössere Arbeit), welche sich mit Tempopolyphonie beschäftigt. Das Stück besteht aus modular gebauten kurzen Sätzen in denen die einzelnen Instrumen- te synchron und/oder in unterschiedlichen Tempoverläufen und Abfolgen ihr (präkom- poniertes) Material spielen; dabei sind die Instrumente/Stimmen durch gemeinsame Knotenpunkte – über eine Art 'Gravitation' – in jedem Satz jeweils anders miteinander verbunden und erzeugen mitunter dadurch verschiedenartige (aber ähnliche) Beschrei- bungen desselben Materialraumes. (André Meier)