In diesem Stück möchte ich die Idee umsetzen, dass jede Tempoebene nicht verschiedenen Instrumenten zugewiesen wird, sondern verschiedenen Aktionen, die auf ein und demselben Instrument, in diesem Fall die E-Gitarre, zusammen kommen. Ich stelle mir einen mehrgliedrigen Körper vor, bei dem jedes Glied von der Bewegung der anderen Gliedmassen unabhängig ist. Da sie aber über den selben Körper verbunden sind, werden die Aktionen des einen Gliedes die Aktionen der anderen beeinflussen. Ich möchte das Konzept der Tempopolyphonie in Bezug auf die Klangstrukturen, aber auch in seinen choreographischen Möglichkeiten für ein Ensemble, das ein einziges Instrument spielt und teilt, ausloten. (Andrés Guadarrama)
Das englische Wort 'bleed' trägt verschiedene Bedeutungen. Für mich ist die Verwendung im Zusammenhang mit Druck und Zuschnitt besonders interessant. Hier bezeichnet 'bleed' die überschüssig bedruckte Fläche, welche durch den Zuschnitt zwar entfernt wird, aber für das Bedrucken der Druckfläche bis zu den Rändern notwendig ist. Der Überschuss geht dabei verloren, bleibt im Ergebnis unsichtbar, ist aber erforderlich für die Gestaltung. Neben dem Zuschnitt von Klängen und formalen Bereichen ist die künstlerische Forschung im Feld polytemporaler Musik seit einiger Zeit ein fester Bestandteil meiner kreativen Auseinandersetzung. In 'bleed' gibt es sehr lang gezogene Beschleunigungen, welche aus einem gemeinsamen Puls erwachsen, durch veränderte Teilungen und Taktmasse diesen aber wieder erreichen, ohne dass ein Prozess umgekehrt werden muss. (Tobias Fandel)
Mit der Besetzung dieses Stückes – E-Gitarre, Saxophon, Klavier und Schlagzeug – würde es nicht viel brauchen, um wie eine Rock- oder Jazzband zu klingen. Wenn ich mich in meiner kompositorischen Arbeit für Rock- oder Jazzklänge interessiere, so geht es mir dabei weniger um eine Collage verschiedener Stil-Elemente, als eher um die Integration dieses klanglichen Materials. Die Software 'Polytempo Composer' des ICST ermöglichte es mir, aus einfachen, energiegeladenen Elementen eine polyphone Komplexität aufzubauen. (Mathieu Corajod)
Im Spanischen wird der Begriff descarga sowohl für das Abladen eines schweren Gewichts als auch für elektrische Entladung und den Download aus dem Internet verwendet. In der lateinamerikanischen Musik sind Descargas lebhafte musikalische Darbietungen für ein kleines Publikum, bei denen die Interpret:innen nach Virtuosität und intensivem persönlichen Ausdruck streben. Descargas III ist ein Werk für Improvisationsensemble, das für die Aufführung mit der Software PolytempoNetwork bestimmt ist. Descargas III versucht somit, eine neue Art des musikalischen Austauschs in Echtzeit zu eröffnen, der eine hochspezifische Struktur und Notation mit der Virtuosität und Frische der Improvisation verbindet.
Disaster Taxa umfasst fünfzehn tempopolyphone Miniaturen für improvisierende Musiker:innen. In der Evolutionsbiologie sind Katastrophentaxa Arten, die durch Massenaussterben freigewordene ökologische Nischen ausfüllen. Die gemeinsame Verwandtschaft wird durch den Verlust von Zwischenformen verdeckt, wobei die überlebenden Organismen neue, äusserst vielfältige Ökosysteme hervorbringen. Aus den durch Zusammenbruch und Scheitern hinterlassenen Lücken ergeben sich völlig neue Möglichkeiten.
Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit den Möglichkeiten, die das Polytempo-Net- work bereitstellt. Drei meiner letzten Arbeiten waren dabei künstlerische Auseinander- setzungen mit live generierten offenen und modularen Formen. 'gravities I' ist nun eine Studie (zu einer grössere Arbeit), welche sich mit Tempopolyphonie beschäftigt. Das Stück besteht aus modular gebauten kurzen Sätzen in denen die einzelnen Instrumen- te synchron und/oder in unterschiedlichen Tempoverläufen und Abfolgen ihr (präkom- poniertes) Material spielen; dabei sind die Instrumente/Stimmen durch gemeinsame Knotenpunkte – über eine Art 'Gravitation' – in jedem Satz jeweils anders miteinander verbunden und erzeugen mitunter dadurch verschiedenartige (aber ähnliche) Beschrei- bungen desselben Materialraumes. (André Meier)
URAUFFÜHRUNGSABEND DER KOMPOSITIONSKLASSEN
---
ARC-EN-CIEL
Ensemble für zeitgenössische Musik der ZHdK
---
JOHANNES SCHLAEFLI UND DIRIGIERSTUDIERENDE, LEITUNG
FREITAG, 21. JANUAR 2011, 19.30 UHR
GROSSER SAAL, FLORHOFGASSE 6, ZÜRICH
---
Dirigierstudierende: Cornelius Volke, Fergus Macleod, Piero Lombardi
---
KARIN WETZEL (*1981)
BRICHT: AN DEM HALM SICH DER LAUT (7’)
Ensemble für Stimme und sechs Instrumente auf einen Text von Anja Utler
---
STEPHANIE HAENSLER (*1986) SCHALEN (4’)
für Mezzosopran und Ensemble nach Texten von Hilde Domin
---
CLINTON HAYCRAFT (*1978)
RETURN OF OSIRIS (10’)
für Flöte, Oboe, Fagott, Bariton, Klavier, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass
---
RICARDO EIZIRIK (*1985)
IO MI RECORDO... (5’)
für Frauenstimme, Trompete und männlichen Schlagzeugspieler
---
MARC NEUFELD (*1969)
STREICHQUARTETT (16’)
---
KYUNG-SUN PARK (*1969)
SCHLEIFEN (9’)
für 3 Geigen, 2 Bratschen, 2 Celli und Kontrabass
---
ALFRED VORSTER (*1983)
SEFIROTH (10’)
für Flöte, Oboe, Altsaxophon, Fagot,, Trompete, präp. Klavier, Harfe und Streichquintett