Als das Ende meines Regie-Studiums noch eine diffuse Drohung in einer weit entfernten Zukunft war, konfrontierte ich mich immer mal wieder mit der Frage, was das eigentlich noch soll mit dem Theater. Das geschah meist in Situationen, in denen sich das System des institutionalisierten Theaters in seiner strahlendsten Borniertheit zeigte und die Widersprüche zwischen künstlerischem Anspruch und praktischer Umsetzung jegliche Art von Bemühung ad absurdum führten.
Nun steht der Abschluss meines Master-Studiums konkret bevor und als angehende Regisseurin frage ich mich: Was hat dieses institutionalisierte Theater denn eigentlich noch mit der gesellschaftspolitischen Realität zu tun, in der ich lebe? Als Medium des Geschichten-Erzählens ist es vom Film, insbesondere von Serienformaten abgelöst worden. Dabei wird dem Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann zufolge «das Theater [im Unterschied zum Kino] noch heute in einem gewissen Maß als Selbstdarstellung der Gesellschaft betrachtet, zumal es mehr als andere Künste aus öffentlichen Mitteln unterhalten wird, so dass die Gesellschaft wegen der Subventionen direkt als Träger des Theaters erscheint». Worin aber besteht diese Selbstdarstellungsfunktion heute? Geht es wirklich darum, dem Publikum einen wie auch immer gearteten Spiegel vorzuhalten, indem man „Gesellschaft“ auf der Bühne nachspielt?
«Wann auch immer Kunst und Theater in Zeiten spürbarer Krisen oder weit reichender Umbrüche aufregend, interessant, ja gelegentlich gar lebenswichtig erscheinen, haben sie stets mit Gesten des Zweifels zu tun, und es eröffnen sich Möglichkeiten des Fragens, der Infragestellung wie plötzlich aufspringende Fenster» schreiben die Theaterwissenschaftler*innen Helmar Schramm und Barbara Sušec Michieli. Diese
Geste des Zweifels ist m. E. bereits der theatralen Form inhärent, ist das Theater doch – anders als das Kino – in einer Live-Situation den Reaktionen des Publikums ausgesetzt. Dieses Setting birgt eine Unkontrollierbarkeit auf der performativen wie inhaltlichen Ebene: Was werden die Darsteller*innen wirklich tun, wenn sie auf die Zuschauertreffen? Wie werden die Zuschauer reagieren, welche Energie entsteht amAufführungsort, werden Ideen der Aufführung durch das Publikum aufgegriffen,abgelehnt oder vielleicht sogar weitergetrieben? Die Möglichkeit, sich als künstlerisches Team zur Disposition zu stellen und angreifbar zu machen, Widerspruch zuzulassen,sogar ein mögliches Scheitern in Kauf zu nehmen – das finde ich in einer Gesellschaft,die so sehr auf Konsens und Perfektion aus ist wie die unsrige, wirklich politisch
relevant.