Ein Zitat von John Cage aus seinem Ten rules for students and teachers besagt «RULE EIGHT: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes». Cage beschreibt das Analyti-sche und das Kreierende als zwei unterschiedliche Prozesse, welche nicht zeitgleich vollzogen werden können. Ein Zitat, dem ich vor unzähligen Jahren im Rahmen eines Moduls an der ZHdK ein erstes Mal begegnet bin, und das sich bis heute in meinem Gedächtnis verankert und gar zur eigenen Über-zeugung manifestiert hat. Grund genug es endlich im Rahmen dieser Thesis in Frage zu stellen.
Ich beschäftige mich in der vorliegenden Thesis mit zwei Begriffen, die mich schon lange in meiner künstlerischen Praxis begleiten, und deren Verhältnis sich mir bis heute nicht eindeutig erschliesst: Kritik und Kreativität. Beide sind in den Darstellenden Künsten wirksam, mehr noch, beide sind insbe-sondere für die theatrale Praxis äusserst relevant. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie sich beide Begriffe bzw. deren Wechselwirkung auf das Theater auswirken.
Die Ambiguität ihres Zusammenspiels zeige ich anhand einer Diskursanalyse. Dabei beziehe ich mich hauptsächlich auf Was ist Kritik? von Tilo Wesche und Rahel Jaeggi, Kunstautonomie und Wettbe-werbsgesellschaft von Michael Makropoulus, Das Spiel des Theaters und die Veränderung der Welt von Christoph Menke, Fiktion der Kritik von Niklaus Müller-Schöll, Kritik der Kreativität von Hans Ul-rich Reck und Die Erfindung der Kreativität von Andreas Reckwitz.
Meine Zielsetzung ist folglich eine Analyse der Beziehung und Abgrenzung von Kritik und Kreativität im Theater. Dabei fokussiere ich mich insbesondere auf den zeitgenössischen europäischen Theater-diskurs.
Um die Tragweite der Debatte miteinzubeziehen, werde ich die beiden Begriffe zunächst linguistisch und historisch präzisieren, bevor ich ihre Präsenz im Theater beschreibe und differenziere. Dies ist besonders notwendig, da vor allem das Kreativitätskonzept im zeitgenössischen Theaterdiskurs bis-lang wenig Beachtung fand. Im Anschluss werde ich die Spannbreite des Diskurses anhand vier ausge-wählter sozial- und kulturwissenschaftlicher Positionen erweitern. Die Analyse einer Kritik- und Krea-tivitätsterminologie der ausgewählten Texte steht dabei im Zentrum. Abschliessend werde ich die Beziehung und Abgrenzung der beiden Begriffe Kritik und Kreativität in den jeweiligen Positionen, so wie in meiner eigenen künstlerischen Arbeit erörtern. Woraus ich abschliessend meine Konklusion eröffne.