Eine erklärende Einführung
Immer wieder wird diskutiert, welches politische Potenzial Theater hat. Diese Frage begleitet
auch mich seit Beginn durch die letzten dreieinhalb Jahre meines Studiums. Dies
äußert sich in meinem künstlerischen Schaffen mit dem paradoxen Kollektiv NEUE
DRINGLICHKEIT4, als dessen Teil ich mich verstehe. Eine der in diesem Rahmen entstandenen
Arbeiten möchte ich in dieser Thesis genauer untersuchen. Die Arbeit kreist um
das Grundthema der Ethik „Was ist zu tun?“.
Diese Frage stellte ich mir während meines Studiums wiederholt aus Perspektive der angehenden
Dramaturgin. Wie könnte ein „Theater der Zukunft“ aussehen? Wie kann man das
politische Potenzial5 des Theaters als Möglichkeitsraum nutzen? In diesem Zusammenhang
stieß ich wieder6 auf Brechts Lehrstücktheorie. Es kam der Wunsch auf, diese Theorie genauer
zu untersuchen und in einer szenischen Forschung möglichst konsequent umzusetzen.
In einem Gespräch mit Manfred Wekwerth7 sagte Brecht über „Die Maßnahme“, dieses Stück
zeige am besten seine Vision des Theaters der Zukunft.8 Davon angeregt, wuchs der Plan,
„Die Maßnahme“ umzusetzen und dabei Brechts Lehrstücktheorie wörtlich zu nehmen.
Wie im Einstiegszitat zu dieser Arbeit deutlich wird, gab es offensichtlich eine ähnliche
Untersuchung Brechts. Die Aufzeichnung dazu scheint jedoch verloren gegangen zu sein.
Dies diente als weitere Motivation einen Versuch in diese Richtung zu unternehmen. Nicht
der Zuschauer solle etwas lernen, sondern der Spielende, besagt die Idee. Es würde also in
unserem Versuch keine Zuschauer geben. Das Experiment fand am 6. Februar 2014 auf
Bühne A im Theater der Künste der ZHdK statt.
Die Recherche für die vorliegende Arbeit erfolgte im Hinblick auf das szenische Experiment.
Formuliert wurde sie, nachdem das Experiment verwirklicht worden war und ist
gleichzeitig eine Reflexion desselben. Zwar beziehe ich mich auf Brechts Lehrstücktheorie
und gehe in groben Zügen auf den vorangegangenen Lehrstückdiskurs ein, jedoch ist diese
Thesis kein Versuch, die Brechtforschung in all ihren Facetten zu erfassen oder gar sich in
diese einzugliedern – dies würde ihren Rahmen sprengen. Das Interessante an dem Bild
von Brecht, das nicht nur in den Massenmedien9, sondern auch in der Forschung divers ist, ist die Zerstückelung in unterschiedliche Aspekte seines Seins, Schaffens und Wirkens:
Aufschlussreich ist dazu beispielsweise ein Blick in die sehr verschiedengestaltigen Biografien
Brechts: So gibt es „Brecht und die DDR“, „Brecht in Amerika“, „Brecht in Augsburg“,
„Brecht in Buckow“, „Brecht in Skandinavien“, „Brecht und die Frauen“, „Brecht
und der Sport“, um nur einige Titel zu nennen, die erscheinen, wenn man im Verzeichnis
der Zentralbliothek Zürich (ZB) „Bertolt Brecht“ eingibt. Dieser Herangehensweise werde
ich mich anschließen und mich auf Brecht in der Lehrstückphase und besonders seine persönlichen
und theoretischen Schriften diesbezüglich konzentrieren. Diese Phase seines
Schaffens umfasst den Zeitraum seines Lebens zwischen 1929 und 1935. Auf Brecht als
Figur10, Autor und Theatermacher werde ich nur am Rande eingehen.
Diese Bachelorthesis habe ich aus der Perspektive einer praktisch ausgebildeten Theatermacherin
formuliert, die im Dramaturgiestudiengang der ZhdK ihren Schwerpunkt auf szenische
Forschung gelegt hat.
Als zweiten Teil der Einleitung werde ich zunächst die Arbeit des Kollektivs NEUE
DRINGLICHKEIT näher erläutern, um die Position, aus der ich spreche, zu verdeutlichen.
Dann folgt ein Exkurs über das Lehrstück, seine Entstehung in der Zusammenarbeit von
Brecht und Hindemith, eine Beschreibung der Lehrstücktheorie Brechts, ein kurzer Abriss
des Lehrstückdiskurses sowie beispielhaft die Schilderung eines Versuchs der theatralen
Umsetzung der Lehrstücktheorie durch das Kollektiv She She Pop am Staatstheater Stuttgart.
Exemplarisch werde ich „Die Maßnahme“ als Stücktext betrachten und seine Aufführungs-
und Rezeptionsgeschichte näher untersuchen.
In einem zweiten Teil folgen eine Versuchsbeschreibung der szenischen Forschung sowie
eine Reflexion der Umsetzung einer Theorie des Lehrstücks, die nicht einmal vom Autor
selbst so konsequent verfolgt wurde, und seine Wirkung an diesem Abend. Die Rückmeldefragebögen
(wir haben die von Brecht für das Publikum entwickelten Fragebögen von
1930 verwendet) werden in einem gesonderten Kapitel behandelt und Auswirkungen auf
das künstlerische Schaffen der NEUEN DRINGLICHKEIT dargestellt.
Zum Schluss werde ich hoffentlich der Vision eines politischenTheaters der Zukunft und
was wir daraus von Brecht lernen können, einen Schritt näher gekommen sein.
10 „Figur“ meine ich hier auch im Sinne von Mythos, das wofür Brecht steht, nicht nur als Mensch, sondern
als bedeutender Künstler im 20. Jahrhundert, der nun in den Reihen der „Klassiker“ zu finden ist.
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