1. Einleitung
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Wir haben diesmal
besonders wenig Zeit
und gerade deswegen
nehmen wir sie uns.
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Christoph Marthaler
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Christoph Marthaler - der Prinz der Langsamkeit
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Prinz der Langsamkeit - so nennt Danielle Chaperon
den Schweizer Regisseur und Musiker in
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einem Artikel, der 2011 anlässlich der Verleihung des Hans Reinhart-Rings der schweizerischen
Gesellschaft für Theaterkultur veröffentlich wurde. Diese Auszeichnung zählt zu der wichtigsten in
der Schweizer Theaterlandschaft. Aber dieser Preis ist nur einer von vielen und man kann ohne zu
übertreiben behaupten, dass Marthaler zu den prägendsten Regisseuren unserer Zeit zählt. Vor
allem da er scheinbar als Regisseur
der Zeit
empfunden wird. Fast immer, wenn über ihn
geschrieben wird, wird sein Umgang mit der Zeit auf der Bühne erwähnt, da wird von
„Gärungsprozessen“
gesprochen, „Verlangsamung des Bühnengeschehens“
und von „toten
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Zeiten“
. Von
somnambul
bis
zäh
reichen die Kritiken, unabhängig um welche Inszenierung es sich
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handelt. Natürlich ist die Bewertung eines Theaterabends immer subjektiv und einige Kritiker
haben sich an den wiederkehrenden Motiven und Mitteln satt gesehen, aber
Zeit als ästhetisches
Mittel oder zumindest als etwas, was auffällt, findet in den Beschreibungen seiner Arbeiten so gut
wie immer Beachtung.
Meist fällt das Wort „Langsamkeit“ auf, wenn über Marthaler geschrieben wird. Bei genauerer
Lektüre merkt man, dass es sich lediglich um einen Versuch handelt, Marthalers Arbeiten, bzw.
seine eingesetzten Mittel zu beschreiben.
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Man kann nun lange darüber reden, ob Marthaler-Theater nun besonders langsam ist oder nicht
oder ob wir einfach durch die modernen Medien derart umgepolt sind in unseren
Sehgewohnheiten, dass Theater grundsätzlich als langsam zählt, wenn nicht Sprache, Video,
Musik und lebendige Tiere auf der Bühne gleichzeitig zum Einsatz kommen. Man würde über
Meinungen und Empfindungen nicht hinauskommen. Was mich nun interessiert und womit sich
diese Arbeit im Folgenden beschäftigen wird, ist: Welche Arten von „Zeit als ästhetischem Mittel“
setzt Marthaler in seinen Inszenierungen ein und wie kann man sie definieren und benennen.
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Als Grundlage dient die Produktion
Heimweh & Verbrechen
, die Februar 2014 im Schauspielhaus
Hamburg Premiere feierte. Es handelt sich um Marthalers jüngste Arbeit, bei der ich die
Möglichkeit hatte, schon in der Vorbereitungsphase mit dabei zu sein, so wie den gesamten
Probenprozess bis zur Premiere begleiten zu können. Kritiken, Äusserungen in Interviews,
persönliche Aufzeichnungen, sowie das Regiebuch und eine Aufzeichnung der Hauptprobe bilden
die Grundlage für die Analyse der
Zeitmittel
, die Marthaler einsetzt
.
Susanne Schulz hat in ihrer
Arbeit
Die Figur im Theater Christoph Marthalers
bereits einige Zeitmittel benannt, diese Arbeit
dient mir im weiteren als Referenz. Ziel der Arbeit ist es zu belegen, dass das Marthaler-Theater
nicht aussergewöhnlich langsam im herkömmlichen Sinne ist, sondern durch seine eingesetzten
Mittel einen starken Fokus auf den Faktor Zeit legt und diese somit für den Zuschauer besonders
spürbar wird.