1. Einleitung
Körper, Emotion und Bewegung -wir erleben und agieren täglich deren Zusammenhang. Körper, Emotion und Bewegung sind nicht voneinander zu lösen und scheinen so eng ineinander zu verschmelzen, dass sie sowohl unsere Physis als auch unsere Psyche vereinnahmen können.
Die vorliegende Arbeit fokussiert sich auf den Körper als dem zentralen Element auf der Bühne. Der Körper agiert und tritt in Interaktion mit seiner ihn umgebenden Umwelt, indem er sich bewegt. Der/die Zuschauer_in sieht auf der Bühne also einen sich bewegenden Körper. Und während des Zuschauens ergibt sich plötzlich der Moment, in dem/die Zuschauer_in innerlich etwas spürt. In ihm/ihr entsteht eine wahrnehmbare Emotion.
In meiner künstlerischen Arbeit als Regisseurin interessiert mich daher das Erzählen über den Körper. Dieser Zugriff ermöglicht mir ein Erzählen über Abstraktion, da ich am Beginn jeder Arbeit zunächst die gesprochene Sprache ausklammere. Meine Idee hinter dem vorläufigen Verzicht auf die gesprochene Sprache ist, dass der Körper an Stärke und Intensität gewinnt. Ob und inwiefern die gesprochene Sprache im weiteren Prozess wieder hinzu kommt, bleibt offen. Das Verhältnis von Körper und Bewegung und ihrer Inszenierung verbindet längst alle Bereiche des Theaters1 und beschäftigt nicht mehr nur den Tanz unddie Choreographie. Aus der wissenschaftlichen Perspektive wird dieses Feld außerdem von den Sozial-und Kulturwissenschaften, wie z.B. der Literatur-und Theaterwissenschaft oder auch der Kulturanthropologie erforscht. Zur spezifischen Betrachtung meiner Frage bedarf es also einer interdisziplinären Perspektive. Spezifisch für meine Betrachtung ist zudem, dass ich zum einen aus der Perspektive der Regisseurin als auch aus der Zuschauerperspektive auf meine eigenen Inszenierungen blicke. Eine unmittelbare Trennung wird daher nicht immer möglich sein, da mir die Intention und Wirkungsabsichten meiner Inszenierungen bewusst sind. Ich begreife demnach die Beschäftigung mit der Frage als eine Möglichkeit, mir einen neuen Blick auf meine Arbeitsweise zu verschaffen. Dies ist stets getragen von der Absicht eine theatrale Erzählform zu entwickeln, die über das Fühlen statt über das Denken funktioniert.
1 Vgl. Jeschke, Bayerdörfer 2000
Konkret beschäftigt sich daher die vorliegende Arbeit mit der spezifischen Bedeutung des Sich-Bewegenden Körpers auf der Bühne und seinem emotionalen Wirken auf den/die Zuschauer_in. Meine Ausgangsfrage lautet somit: Wodurch emotionalisiert inszenierte Bewegung? Dies geschieht aus der Perspektive der Regisseurin und Zuschauerin.
Hierfür werde ich zunächst aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Konzepten zu Körper, Emotion und Bewegung grundlegende Annahmen für meine Untersuchung formulieren, ihren Zusammenhang erläutern und als Schlussfolgerung daraus zwei Untersuchungsfragen (A und B) 5
aufstellen, die sich explizit mit der ,inszenierten Bewegung' auf der Bühne beschäftigen (Kapitel 2). Um im Weiteren den Zusammenhang von Körper, Emotion und Bewegung in Hinblick auf die Bewegung auf der Bühne und ihre emotionalen Auswirkungen auf die Zuschauenden analysieren zu können, untersuche ich die Verschränkung von Körper, Emotion und Bewegung anhand von den inszenatorischen Faktoren: Raum, Material, Musik und Qualität (Kapitel 3). Dies konkretisiere ich jeweils anhand von einem Beispiel aus meinen beiden Bachelor-Abschlussinszenierungen. Hierbei handelt es sich um „Die Wildente“ von Henrik Ibsen und „Plötzlich stehst du da“ frei nach Jon Fosses „Schatten“. Auswerten werde ich dieses gewonnene Material schließlich anhand von den im Kapitel 2.4 formulierten Fragen A und B, die sich mit der Inszenierbarkeit von Bewegung auf der Bühne, dem Evozieren von Emotionen und der sich hieraus ergebenden Erzählform beschäftigen (Kapitel 4). Abschließend werde ich im Bezug auf meine Ausgangsfrage ein zusammenfassendes Fazit ziehen und einen möglichen Ausblick auf meinen zukünftigen Umgang und meine Arbeitsweise mit Bewegung auf der Bühne benennen (Kapitel 5).
1. Einleitung
!
Wir haben diesmal
besonders wenig Zeit
und gerade deswegen
nehmen wir sie uns.
!
Christoph Marthaler
!
Christoph Marthaler - der Prinz der Langsamkeit
!
Prinz der Langsamkeit - so nennt Danielle Chaperon
den Schweizer Regisseur und Musiker in
1
einem Artikel, der 2011 anlässlich der Verleihung des Hans Reinhart-Rings der schweizerischen
Gesellschaft für Theaterkultur veröffentlich wurde. Diese Auszeichnung zählt zu der wichtigsten in
der Schweizer Theaterlandschaft. Aber dieser Preis ist nur einer von vielen und man kann ohne zu
übertreiben behaupten, dass Marthaler zu den prägendsten Regisseuren unserer Zeit zählt. Vor
allem da er scheinbar als Regisseur
der Zeit
empfunden wird. Fast immer, wenn über ihn
geschrieben wird, wird sein Umgang mit der Zeit auf der Bühne erwähnt, da wird von
„Gärungsprozessen“
gesprochen, „Verlangsamung des Bühnengeschehens“
und von „toten
2
3
Zeiten“
. Von
somnambul
bis
zäh
reichen die Kritiken, unabhängig um welche Inszenierung es sich
4
handelt. Natürlich ist die Bewertung eines Theaterabends immer subjektiv und einige Kritiker
haben sich an den wiederkehrenden Motiven und Mitteln satt gesehen, aber
Zeit als ästhetisches
Mittel oder zumindest als etwas, was auffällt, findet in den Beschreibungen seiner Arbeiten so gut
wie immer Beachtung.
Meist fällt das Wort „Langsamkeit“ auf, wenn über Marthaler geschrieben wird. Bei genauerer
Lektüre merkt man, dass es sich lediglich um einen Versuch handelt, Marthalers Arbeiten, bzw.
seine eingesetzten Mittel zu beschreiben.
!
Man kann nun lange darüber reden, ob Marthaler-Theater nun besonders langsam ist oder nicht
oder ob wir einfach durch die modernen Medien derart umgepolt sind in unseren
Sehgewohnheiten, dass Theater grundsätzlich als langsam zählt, wenn nicht Sprache, Video,
Musik und lebendige Tiere auf der Bühne gleichzeitig zum Einsatz kommen. Man würde über
Meinungen und Empfindungen nicht hinauskommen. Was mich nun interessiert und womit sich
diese Arbeit im Folgenden beschäftigen wird, ist: Welche Arten von „Zeit als ästhetischem Mittel“
setzt Marthaler in seinen Inszenierungen ein und wie kann man sie definieren und benennen.
!
Als Grundlage dient die Produktion
Heimweh & Verbrechen
, die Februar 2014 im Schauspielhaus
Hamburg Premiere feierte. Es handelt sich um Marthalers jüngste Arbeit, bei der ich die
Möglichkeit hatte, schon in der Vorbereitungsphase mit dabei zu sein, so wie den gesamten
Probenprozess bis zur Premiere begleiten zu können. Kritiken, Äusserungen in Interviews,
persönliche Aufzeichnungen, sowie das Regiebuch und eine Aufzeichnung der Hauptprobe bilden
die Grundlage für die Analyse der
Zeitmittel
, die Marthaler einsetzt
.
Susanne Schulz hat in ihrer
Arbeit
Die Figur im Theater Christoph Marthalers
bereits einige Zeitmittel benannt, diese Arbeit
dient mir im weiteren als Referenz. Ziel der Arbeit ist es zu belegen, dass das Marthaler-Theater
nicht aussergewöhnlich langsam im herkömmlichen Sinne ist, sondern durch seine eingesetzten
Mittel einen starken Fokus auf den Faktor Zeit legt und diese somit für den Zuschauer besonders
spürbar wird.