Ich möchte hier von Dingen sprechen, die mir wichtig sind. Es ist schwierig diese
Dinge zu fassen. Man kann es nicht direkt tun, weil diese Dinge zwischen den
Dingen liegen. Viel muss ich darüber nachdenken, was aussprechbar ist und was
nicht. Ich halte mich hier an der Grenze des Unsagbaren auf. Aber ich hoffe, dass es
mir gelingt auch durch entschiedenes nicht Aussprechen Dinge zu sagen.
Was hier gelesen wird, wurde nicht von mir allein gedacht. Das möchte ich noch
sagen und hiermit ein paar Leute vorstellen, die auf verschiedenste Arten dabei
waren. Das tue ich nicht aus Gründen des Anstandes, sondern um
daraufhinzuweisen, dass ich mich nicht getrennt von ihnen sehen kann, sowie mein
Denken nicht und diese Arbeit auch nicht. Ob ich ihnen in Buchform begegnet bin
oder als lebendigem Dozenten, im Gespräch unter ähnlich Gesinnten oder als beste
Freunde spielt keine Rolle. Sie sind wichtige Mitdenker an dieser Arbeit.
Zuerst stelle ich das Theater HORA vor. Dann beschreibe ich worum es in der FRH
geht und stelle einen Bezug zum aktuellen Theatergeschehen im Bereich des Theaters
mit Menschen mit einer Behinderung her.
Um eine genauere Untersuchung zu ermöglichen, betrachte ich dann die beiden
Faktoren meiner Fragestellung (zum einen die ästhetischen Prämissen des Theater
HORA und zum anderen die Mündigkeit als pädagogisches Ziel der künstlerischen
Leitung) getrennt voneinander und beschreibe in einem jeweiligen Zwischenfazit,
was ich herausgefunden habe. Die Ergebnisse nutze ich dann zur weiteren Untersuchung meiner Fragestellung.
Primär habe ich hierzu mit dem Material gearbeitet, dass ich aus meiner teilnehmenden Beobachtung gesammelt habe: aus Interviews die ich mit dem Ensemble und der künstlerischen Leitung geführt habe, sowie mit Material aus dem HORA Archiv und eigenen Protokollen aus Beobachtungen. Vieles was ich hier beschreibe, beruht also aus eigenen Erfahrungen und Eindrücken in der Phase meiner Hospitanz. Deswegen möchte ich darauf hinweisen, dass es zum Teil schwierig war, alles was passiert ist während der Hospitanz genau festzuhalten und dass es an manchen stellen Lücken haben kann. Da das HORA-Archiv auch gewisse Lücken aufweist, betone ich auch da, dass ich nicht alles genau nachprüfen und somit auch nicht alles berücksichtigen konnte.
In einem zweiten Schritt habe ich mir Literatur zur Hilfe genommen, die dazu diente,
die beiden oben genannten Faktoren zu verstehen und um einen Bezug zu aktuellen
soziologischen und theaterwissenschaftlichen Diskursen herzustellen.
Die kollektive Arbeitsweise ist für die Performancegruppe Gob Squad ein zentrales Element
ihrer Arbeit. Sie betrachten das kollektive Arbeiten nicht nur als wesentlichen Faktor für ihre
Art, zu proben und zusammen zu arbeiten, sondern auch für die entstehenden Arbeiten. Inhalt
und Form der entstehenden Aufführungsereignisse sind untrennbar mit der kollektiven Vorgehensweise
verknüpft und nur durch diese möglich.
Der künstlerische Mehrwert des Kollektiven bei Gob Squad soll in dieser Arbeit als Aufhänger
dienen, das Potential kollektiver Arbeitsweisen für die theaterpädagogische Arbeit zu er forschen,
indem kollektives Arbeiten nicht als politisches Ideal von Gemeinschaft und Gleichheit
betrachtet wird, sondern unter der Prämisse, dass solche Arbeitsweisen zu Aufführungsereignissen
von besonderer ästhetischer und inhaltlicher Qualität führen.
Gob Squad beschreiben im Bezug auf ihre kollektive Arbeitsform, dass der besondere Zugriff,
die besonderen Kompetenzen und Schwächen, das Wissen und die Fragen des Einzelnen entscheidend
sind, um gemeinsam mit den anderen Beteiligten etwas entstehen zu lassen, was
durch die unterschiedlichen Zugänge eine besondere Qualität erhält, wobei diese sowohl in
Prozess selbst als auch im Produkt des Prozesses liegt (vgl. Gob Squad 2010: 14f).
Eine Grundannahme für das künstlerische Arbeiten mit nicht-professionellen Beteiligten be -
steht darin, dass von einer „Interessantheit“ der einzelnen ausgegangen wird; davon, dass ihre
Lebensrealität, ihr spezifisches Wissen, ihre Erfahrungen und Gedanken und ihre besondere
und einzigartige Art sich zur und in der Welt zu verhalten das Theater bereichern und zu besonderen
Bühnenereignissen beitragen können. Teilweise wird dies bis zu dem Extrem getrieben,
dass spezielle „Alltagsexperten“ explizit gesucht und von professionellen Theatermachern inszeniert
werden, wie dies beispielsweise in den Inszenierungen von Rimini Proto koll der Fall
ist.
Die kollektive Arbeitsform soll in dieser Arbeit als eine betrachtet werden, welche besondere
Möglichkeiten bietet, die oben genannten Qualitäten des Einzelnen in den Probenprozess einzubringen
und so in der Arbeit mit nicht-professionellen Darstellern Bühnenereignisse zu produzieren,
die von diesen besonderen Qualitäten bereichert und in Inhalt und Form einzigartig
und vielschichtig sind indem sie über die Subjektivität und Abgeschlossenheit des Zugriffs ei -
nes Einzelnen hinausgehen.
Diese Beschränkung auf den „künstlerischen Wert“, das Zweckmäßige des Kollektiven im Sinne
der Produktion von Kunst, ist eine methodische Entscheidung, die nicht von einer Be deutungslosigkeit
eines möglichen sozialen oder politischen Mehrwerts einer kollektiven Arbeits -
weise ausgeht, sondern diesen zugunsten einer genauen Untersuchung beiseite lässt in der
Hoffnung, dass sich über diesen Blickwinkel andere Perspektiven für Arbeitsweisen eröffnen
als über die politische Forderung der Aufhebung von Hierarchien oder das (reform-)pädagogische
Ideal der Gleichberechtigung der Beteiligten.
Den wesentlichen Unterschied zu einem kollektiven Zusammenschluss professionell ar beitender
(und ausgebildeter) KünstlerInnen macht in der Theaterpädagogik das Vorhandensein eines
„Leitenden“ aus: Ein/e TheaterpädagogIn1 initiiert das Zusammenkommen einzelner als Gruppe,
legt einen Startpunkt, entscheidet in irgendeiner Form, wie und an was gearbeitet wird und
bestimmt in letzter Instanz auch darüber, dass „kollektiv“ gearbeitet werden soll.
Bei den Beteiligten handelt es sich in der Regel um eine zahlenmäßig überlegene Gruppe von
nichtprofessionellen Spielern, die über keine professionelle Theaterausbildung und keine Er -
fahrung als entscheidungstragende Akteure in künstlerischen Prozessen verfügen auf der einen
Seite und einem/r einzelnen ausgebildeten und/oder erfahrenen Anleitenden auf der anderen
Seite.
In dieser Untersuchung sollen Besonderheiten der Arbeitsweise Gob Squads zunächst anhand
der von der Gruppe selbst herausgegebenen Monografie „Gob Squad und der unmögliche Ver -
such daraus klug zu werden“ (Gob Squad 2010) herausgearbeitet werden, um aus diesen abzuleiten,
welche spezifischen Kenntnisse, Kompetenzen und Erfahrungen bei den Mitgliedern
und als Gruppe Grundlage dieser Arbeitsweise sind.
In einem zweiten Schritt soll im Sinne einer Übertragung auf theaterpädagogische Arbeitsweisen
herausgearbeitet werden, welche der oben genannten Voraussetzungen bei nicht-pro fessionellen
Darstellern aufgrund mangelnder Erfahrung und Übung nicht vorauszusetzen sind.
Versuchsweise soll der Theaterpädagoge als „Ersatz“, als eine Art „Kompensator“ für diese
„Mängel“ begriffen werden, um neue Erkenntnisse über seine Rolle und einen möglichen Umgang
mit der im Unterschied zum Künstlerkollektiv offensichtlich vorhandenen Hierarchie zu
gewinnen.
Als Gegenbeispiel zur Arbeitsweise von Gob Squad wird in diesem Schritt die Arbeitsweise
der Gruppe Rimini Protokoll herangezogen, die mit nicht-professionellen Beteiligten als Dar -
steller professionelle künstlerische Produktionen erarbeiten, indem sie eine strikte Trennung
von Regie- und Spielerposition aufrecht erhalten.
Im letzten Schritt werden auf Grundlage der Ergebnisse der Untersuchung Ausblicke auf mög -
liche theaterpädagogische Arbeitsformen entwickelt, die die Entfaltung des künstlerische, soziale
und politische Potential kollektiver Arbeitsformen zum Ziel haben. In Bezugnahme auf
den Kunstbegriff, den Uwe Wirth in einer Neuformulierung des Dilettantismusbegriffes formuliert
(Wirth 2010) wird die Perspektive eröffnet, die Theaterpädagogik als Ermächtigung zum
kollektiven künstlerischen Arbeiten durch die Vermittlung künstlerischer Kompetenzen zu betrachten.
Abschliessend erfolgt ein Ausblick auf Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen
in Theorie und Praxis.
Vor einem Jahr bin ich nach Hamburg gefahren, um die Performance Schwarze Augen, Maria von Signa zu erleben. Ich habe den weiten Weg auf mich genommen, weil ich durch meinen Unterricht und eine Bachelorarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste auf Signa aufmerksam geworden bin und mich diese Gruppe faszinierte. Ich war interessiert, dass ein Künstlerkollektiv über mehrere Stunden, Tage oder Wochen performt und den Zuschauer in die Performance integriert. Wie die das wohl machen und wie
sich das für Zuschauer und Spieler anfühlt?
Laut Eva Sturm ist der englische Mathematiker und Autor Lewis Caroll ein Meister des Errichtens von Regelsystemen und deren gleichzeitiger Subversion. Sein Gedicht „The Hunting of the Snark - An Agony in Eight Fits“ erzählt die Geschichte von der Jagd nach dem Snark – ein Wesen, welches Caroll selbst nie definierte. Im Zentrum steht eine skurrile Gesellschaft von Männern und einem Biber, welche sich anhand einer Karte, die nur das Meer zeigt, orientiert. Was für sie sehr logisch ist, denn das, was sie jagen, lebt im Meer, deswegen scheint es auch sinnlos, Kontinente und Pole einzuzeichnen. Im Originaltext lautet der letzte Satz: „Denn der Schnatz war ein Buhdscham, nicht wahr?“ Dieser Satz erklärt nichts. Lewis Caroll gestand, dass er die Geschichte eigentlich mit diesem Satz – mit dem Ende – begonnen hatte. Ich werde mich in meiner Bachelorthesis ebenfalls auf eine Jagd nach dem Snark begeben. Dazu werde ich die Ereignisse meiner neunmonatigen Reise als Beispiel nehmen. Die Reise begann im September 2014 in Hamburg mit einer Hospitanz bei Kristina Calvert. Als Anstoss jedes Gedankengangs werde ich diese Ereignisse hinterfragen, reflektieren und mit der nötigen Fachliteratur vergleichen, um die Spur des Snarks zu deuten, mit der Absicht herauszufinden, was dieser Snark mir bedeuten will. Diese Ereignisse werden die Überschrift «Ereignisse» tragen und stehen – umrahmt von einem Kästchen – stets am Anfang eines Kapitels. Aus welchem sich eine Frage entwickelt, welche ich in diesem Kapitel versuche zu
beantworten. Der Untertitel der deutschen Übersetzung von Oliver Sturm lautet: „eine Agonie in acht Krämpfen“ dem entsprechend ist Carolls Gedicht in acht Krämpfe aufgegliedert.
Auch ich werde meine Jagd nach meinem Snark in acht Krämpfe aufteilen. Diese Krämpfe sind in sich geschlossen und nehmen nicht zwingend Bezug aufeinander. Erst im siebten Krampf werden sämtliche Gedanken und Erkenntnisse zusammengeführt.
Dabei sehe ich diese Arbeit als Karte, die nicht als lineare Projektion von einer tatsächlichen Realität, sondern als Abbild von bestimmten Spielregeln funktionieren soll.
Denn die Suche voller Hoffnung, Sorgfalt und Abenteuerlust mit einer leeren Karte – etwas was uns keine Richtung vorgibt – und die Jagd nach dem mysteriösem Snark – etwas Fremdes und Unbekanntes– scheint für mich ganz nach den Regeln der Auseinandersetzung mit Kunst zu spielen.
Oftmals versteht man nicht, was ein Werk bedeuten will und weiss nicht, wo man beginnen soll oder wohin es einen führen wird. Kunst erscheint oft als etwas, das keiner erklärbaren Logik folgt, das unverständlich ist. Doch genau in der Jagd nach dem unlogischen Unbekannten sehe ich das Potential der Kunst. Wenn der Rezipient eine Inszenierung liest und sich mit ihr auseinandersetzt, wird er zum Jäger von seinem eigenen Snark.
In dieser Arbeit will ich herausfinden, wie wir Theaterpädagogen mit den Rezipienten gemeinsam Inszenierungen deuten und von diesen ausgehend in ein gemeinsames
Nachdenken kommen können. Die gemeinsame Nachdenklichkeit soll nicht zu einem besseren Verständnis der Kunst beitragen, sondern viel mehr von der Kunst ausgehend sein. Als Hauptreferenzen, welche den theoretischen Hintergrund meiner Thesis bilden, beziehe ich mich auf fünf Frauen, die Antworten und Tipps für meine Jagd lieferten. Drei davon kommen aus der Kunsttheorie und zwei aus der Philosophie. Diese Frauen setzen sich alle mit der Thematik des gemeinsamen Nachdenkens mit Kindern auseinander. Ihre und meine Gedanken sowie der philosophische Gedanke über die Kunstpädagogik und das Rezeptionsvorgehen könnten mich vielleicht zum Snark führen. Zu dieser Gruppe von Frauen gehören: Kristina Calvert, Anna K. Hausberg Bettina Uhlig, Mira Sack und Eva Sturm. Kristina Calvert hat mich während meiner Recherchezeit begleitet. Die Erfahrungen, welche ich durch sie gemacht habe, bilden die Motivation der vorliegenden Arbeit. Zudem werde ich ihre Dissertation Mit Metaphern philosophieren als Grundlage auf meine Jagd benutzen. Die Dissertation Fressen Katzen Rotklee von Anna K. Hausberg liefert einen philosophischen Blickwinkel über das Nachdenken mit Rezipienten. Bettina Uhlig setzt sich mit grundschulspezifischer Rezeptionsmethodik auseinander. Mira Sack begleitete mich durch diese Arbeit als betreuende Dozentin. Und Eva Sturm beschäftigt sich in ihrer Schrift 'Von Kunst aus' mit Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze.
Nur noch eins:
Denn der Snark ist ein Buhdscham nicht wahr?
Im Theater gibt es schon seit einigen Jahren eine starke Tendenz, sich mit gemeinschaftlichen und kollektiv geprägten Arbeitsweisen auseinanderzusetzen und diese in der individuellen Praxis zu erproben. Diese Tendenz erstreckt sich auch auf das wachsende Segment des Theaters mit Kindern und Jugendlichen – sei es in der freien
Szene1 oder an den grossen Häusern. Jede Produktion mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt sich auch immer indirekt mit der Frage, wie man zeitgenössisches Theater mit Kinder und Jugendlichen machen kann. In dieser Arbeit untersuche ich die Verknüpfung dieser beiden Tendenzen: Das heisst, wie man heute fortschrittliches und gleichberechtigtes Theater mit Kinder und Jugendlichen machen kann. Mein Theaterbegriff ist geprägt von der Vorstellung, dass Theater ein Ort ist, an dem
Utopien und Wünsche auf und neben der Bühne erprobt und durchgespielt werden. Aber es ist auch der Ort, wo andersartige, neue und abweichende Strukturen und Prozesse innerhalb der Zusammenarbeit ausprobiert werden können. Es ist damit auch ein Ort, welcher helfen kann, emanzipatorische Vorgänge und Möglichkeiten aufzuzeigen oder anhand künstlerischer Settings erst möglich zu machen. Daher liegt es nahe, die Emanzipation ins Theater hineinzudenken. Es stellte sich die Frage, wo zeitgenössische emanzipatorische Formen in der Zusammenarbeit mit Kinder und Jugendlichen liegen könnten. In diesem Zusammenhang kam aufgrund des untersuchten Materials der Begriff der Autorschaft ins Spiel, der für mich zunehmend zentral wurde in Bezug auf die Frage nach gleichberechtigten Arbeitsweisen.
So lautet die Fragestellung: Wo könnte bei unterschiedlichen Formen der Autorschaft emanzipatorisches Potential im Theater mit Kindern und Jugendlichen liegen?
Durch diese Arbeit erhoffe ich mir auf Ansätze zu stoßen, welche sich zum Schluss in eine Verallgemeinerung bringen lassen können und Anhaltspunkte für eine Herangehensweise ans Theatermachen bieten, die das emanzipatorische Potential des Theaters zu Tage bringen und alternative gesellschaftliche Strukturen aufzeigen können.
Die Arbeit soll und will keine Antworten liefern, sondern mir und anderen Theaterschaffenden, Anregungen und Impulse für die Suche nach zukünftigen Arbeitsweisen geben.