Marseille ist eine Stadt der Gegensätze und Brüche. Ein Journalist hatte das Bild einer in Nord und Süd beziehungsweise in Arm und Reich geteilten Stadt, die sich am zentralen Boulevard «La Cannebière» trifft, gezeichnet. Die Themen Postkolonialismus, Postindustrialisierung, Migration, Gentrifizierung, Kosmopolis, struktureller Rassismus sind hier ungeschönt sicht- und spürbar. Und doch ist alles durchlässiger, menschlicher und freundlicher als in der Hauptstadt Paris. Diese Gegensätze suchen und thematisieren wir, damit sie bei uns selbst neue Fragen aufwerfen, auf welche wir in Zukunft künstlerisch-gestalterische Antworten oder Gegenfragen formulieren können. So werden wir Le Corbusiers Vision eines idealen Wohnblocks «Cité Radieuse» den Sozialsiedlungen im Norden der Stadt gegenüberstellen, dem neu errichteten MUCEM den danebenliegenden Industriehafen, dem von den Sozialisten mit dem Aushub des Metrobaus errichteten Stadtstrand den maghrebinisch/afrikanisch geprägten Markt in Noailles.
Methoden:
Um einen zusätzlichen Perspektivenwechsel zur gewohnten, durch das Studium weiterentwickelten Wahrnehmungs- und Verortungsweise zu provozieren, werden neben den herkömmlichen Gestaltungstools, auditive Medien genutzt. Die Studierenden haben die Möglichkeit, sich dokumentarisch mit der akustischen Realität zu beschäftigen und eine Sound-Scape (Soundtrack) zu produzieren, welche in einem Community Radio abgespielt und besprochen wird. Das Walking ist das neue «Driften» (dériver) und eine beliebte Freizeitbeschäftigung vieler Marseiller. Neben den Wanderungen in der nahen Natur werden in ausgesuchten Vierteln lokal und unabhängig organisierte Erkundungstouren, die sich mit sozialen, geschichtlichen und kulturellen Themen auseinandersetzen, organisiert.
Zielsetzung:
Ziel ist es, die Studierenden binnen kürzester Zeit mit einem Stadtraum vertraut zu machen, damit sie diesen lesen und interpretieren lernen. Dies erreichen wir, indem wir uns in einer stetigen Vorwärtsbewegung mit verschiedenen Akteur:innen aus jeweils unterschiedlichen Wirkungsfeldern (Design, Kunst, Kultur bis Sozialpolitik und Aktivismus) austauschen, an lokalen Projekten und Initiativen mitwirken, sowie relevante und aussagekräftige Orte besuchen. Die Auswahl und Dichte der Eindrücke, die in einer Gruppe zusätzlich potenziert werden, soll bei den Studierenden gewohnte Denkmuster aufbrechen und neue, inspirative Denkanstösse vermitteln.
Schlussfolgerung:
Die Wahrnehmung von Differenz gibt den Studierenden die Möglichkeit, ihre eigene berufliche Vision und ihre eigene gestalterische Haltung zu entwickeln. Der internationale Austausch fordert die Studierenden auf, ihre Optik und Position zu reflektieren. Ihnen werden einzigartige Inhalte und eine Atmosphäre vermittelt, die sie in ihrem Heimatland nicht antreffen.
Eines der Ziele ist es auch, Professoren, Dozierende, Assistierende, lokale Studierende (ESADMM) und praktizierende Gestalter und Gestalterinnen als aktive Teilnehmende zu gewinnen. Dabei sollen Erfahrungen zur Vermittlung, sowie pädagogische Methoden zur Gestaltung und Kunst geprüft und diskutiert werden. Programme in ausländischen Designinstitutionen (nicht nur Bildungseinrichtungen) sollen kennengelernt werden, um Innovationen, partizipative Prozesse und zukünftige, gestalterische Möglichkeiten im Bildungsprozess zu entdecken und zu benennen.
Linking Cultures versteht sich als internationales Austauschprogramm zwischen Studierenden und Dozierenden von Kunst- und Designhochschulen aus Beirut, Berlin, Kairo, Marrakesch und Zürich.
Im Frühjahr 2020 entstand als Reaktion auf die durch die Covid-19-Pandemie genutzten digitalen Austauschmöglichkeiten die Idee einer Kooperation zwischen verschiedenen Design- und Kunsthochschulen aus Nordafrika, dem Nahen Osten und Westeuropa. Aus dieser Idee ist inzwischen ein artikuliertes, gemeinsames Online-Programm hervorgegangen, das nun weiterentwickelt werden soll.
Das Thema der Studierendenprojekte und der Vorlesungsreihe im Frühjahr 2022 lautet «Design as Dissent». In zehn transkulturellen Studierendenteams werden Konzepte entwickelt, die sich die problemlösende Stärke von Design zu Nutze machen und einen Beitrag für Herausforderungen unserer Zeit leisten. Eine öffentliche Vortragsreihe zwischen dem 8. März und dem 19. April begleitet das Programm.
Im Herbstsemester finden sogenannte «Students for Students»-Präsentationen statt, die zum gegenseitigen Verständnis der unterschiedlichen Hochschulen und Studiengänge beitragen.
Für die Weiterentwicklung des Programms soll nun die Online-Präsenz um eine kollaborative Plattform weiterentwickelt und ein physischer Austausch mit Studierenden und Dozierenden organisiert werden. Eine Erweiterung der teilnehmenden Kunst- und Designschulen wird darüber hinaus in Erwägung gezogen.
Methoden:
In diesen nachpandemischen Zeiten, an die sich andere katastrophische Szenarien anschliessen, wie etwa der Ukraine-Krieg, die Gaskrise, rechtspopulistische Despot:innen und natürlich die stetige Bedrohung durch eine Umweltkatastrophe, scheint die Welt verunsicherter denn je. Die Kunst ist mehr und mehr aufgefordert, politische Haltungen zu beziehen. Ein Nebeneffekt scheint allerdings zu sein, dass die Zuschreibung der Katastrophe ein inflationäres Ausmass erreicht hat: Die Katastrophe scheint das Herz unserer Existenz erreicht und sich in unseren alltäglichsten Ablauf eingeschlichen zu haben, wie es die Redewendung «Es ist eine Katastrophe!» treffend ausdrückt. Es ist also an der Zeit, wieder einen differenzierten Blick zu entwickeln. Es ist an der Zeit, innezuhalten und zeitgenössische Katastrophen zu benennen. Und es ist an der Zeit sich zu fragen, welche Rolle die Künste dabei spielen sollen, können und müssen. Sich vor diesem Hintergrund mit der Darstellbarkeit des Katastrophischen in den performativen Künsten zu beschäftigen, bildet den Ausgangspunkt dieses Projekts.
Zielsetzung:
Das Austauschmodul «Catastrophe and Performing Arts: Past, Present and Future» findet in Kooperation mit dem Studiengang Theater an der ZHdK und der Theatre Academy an der Uniarts Helsinki statt. Studierende der ZHdK sind im Dezember 2022 zwei Wochen nach Helsinki gereist, haben dort mit den Studierenden erste Recherchen begonnen und kleine künstlerische Skizzen entwickelt. Im Sommer 2023 kommen die Studierenden aus Helsinki nach Zürich, um weiter in transdisziplinären Gruppen zu arbeiten und die hier entstandenen künstlerischen Positionen gemeinsam Ende Mai in der «Helferei» in Zürich zu präsentieren.
Schlussfolgerung:
Die Studierenden der ZHdK sind im MA Theater Regie angesiedelt, ihr Background ist jedoch divers: Tanz, Schauspiel, Film, zeitgenössische Musik und Oper sowie textbasiertes Arbeiten gehören zu ihren künstlerischen Kompetenzen. Helsinki antwortet im Gegenzug mit Dramaturg:innen, Tänzer:innen, Performer:innen und Musiker:innen. Die künstlerischen Resultate werden damit die Spannbreite von Performances, Audio Walks, Stadtraum-Interventionen, Kurzfilmen, Essays, Fotoarbeiten und audiovisuellen Installationen umfassen. Die Studierenden arbeiten dazu teilweise an mehreren unterschiedlichen Projekten und in unterschiedlichen Besetzungen zusammen.
Ziel ist, die in Zürich entstandenen Arbeiten an einem hochschulöffentlichen Happening, das zwischen Aufführung und Ausstellung changiert, gemeinsam zu präsentieren und zu diskutieren. Als Präsentationsort ist die «Helferei» angefragt, ein ebenso geschichtsträchtiger wie auch katastrophischer Ort für die Stadt: Wohnort von Ulrich Zwingli und seiner Familie, aber auch Unterbringung von Zürichs Pestkranken.
3 Online-Atelierbesuche bei Künstler/Innen, die in verschiedenen europäischen Städten leben
Der Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern, sei es in Form eines Atelierbesuchs, eines Künstlergesprächs oder eines Ausstellungsrundgangs, ist fester Bestandteil der Kunstvermittlung: Er gibt den Studierenden die Möglichkeit, ihren Horizont zu erweitern und mit zukünftigen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu treten.
Das Format der digitalen Atelierbesuche bietet die Gelegenheit, mit Kunstschaffenden zu sprechen, die in verschiedenen Städten Europas arbeiten und die im Semester nicht physisch besucht werden können.
Während des Herbstsemesters 2020/21 finden drei Atelierbesuche bei Kunstschaffenden über Zoom statt, die mit unterschiedlichen Medien und in verschiedenen Ateliersituationen arbeiten: Steve Bishop in London, Cedric Eisenring in Berlin und Vera Palme in Frankfurt am Main. Bevor die Besuche stattfinden, machen sich die Studierenden mit den Werken der drei Künstlerinnen und Künstlern vertraut und haben so die Möglichkeit, spezifische Fragen zu stellen und den gemeinsamen Moment zu nutzen.
Ziel und Interesse dieser Besuche ist es, den Kunststudierenden im ersten Semester einen direkten Einblick in die alltägliche Praxis, in die Fragestellungen, Ideen und Zweifel der jungen Künstler/Innen zu ermöglichen. Diese konkreten Beispiele motivieren die Studierenden, das eigene Kunstschaffen zu erarbeiten und zu entdecken.
Als Sunlay Rodriguez, die an der ZHdK 2015 einen Master in Transdisziplinarität abgeschlossen hat, zurück nach Havanna in ihre Heimat zog, fragte sie sich und mich (Kaspar König) wie sie das gelernte in der Praxis umsetzen könnte. Wie kann sie ihre transdisziplinäre künstlerische Praxis mit ihren Fähigkeiten als Netzwerkerin verbinden und die Verbindung mit dem deutschsprachigen Raum in Europa halten und erweitern?
Mit dem Verein Tic & Tac möchten wir ein transdisziplinäres Netzwerk gründen das mindestens die nächsten 5 Jahre SchweizerInnen, KubanerInnen und Europäische Kunstschaffende sowie ein (transatlantisches) Publikum und Gönner miteinander verbinden wird. Wir wollen das Interesse in transkulturelle Praxis fördern und neue, transdisziplinär angelegte Formate entwickeln. In erster Linie sind wir nicht an einem reinen Kunstaustausch interessiert, sondern vielmehr an einem persönlichen Austausch über Kunst und eigene Arbeiten mit allerlei verschiedenen Disziplinen, die von den Interessenten mitgebracht werden.
Sunlay Rodriguez wird als Mittlerin zwischen den Kulturschaffenden und BewoherInnen Havannas und den europäischen Gästen fungieren. Der Artspace ist Ort des Austauschs und des Dialogs gleichwohl wie erster Anlaufpunkte für die neuankommenden Projektteilnehmenden. Das teilweise schon vorhandene Netzwerk wird sich erweitern mit weiteren Initiativen und Kunstschaffenden.
Entscheidend für die Sichtbarkeit des Artspace ist das Wirken von Sunlay Almeida Rodriguez und Kaspar König.
Wie sich öffentlicher Raum konstituiert und wie er durch Gespräche und Handlungen hergestellt wird, kann sich von Ort zu Ort auch in den baulichen Gegebenheiten spiegeln und unterscheiden. Das Fanzine ist ein stark auf breite und demokratisierte Distribution ausgerichtetes Format. Zugleich erlaubt es in kollektiven bzw. gemeinschaftlichen Arbeitsprozessen disparates Material zusammenzutragen um es in der Zusammenstellung subjektiv neu zu bewerten. Die Exkursion bringt mehrere aktuelle Themen zusammen, bietet aber auch Gelegenheit Formate und Kontexte in ihrer historischen Dimension zu verstehen, während die Auseinandersetzung mit der Foto- und Printmedien-Kultur im künstlerischen und populären Bereich eine breite Palette von grafischen oder visuellen Herausforderungen und Anreizen bereithält. Die Begegnung mit der piktografischen Schrift, den Leserichtungen und Distributionsmechanismen von Druckerzeugnissen in Japan liefert dabei einen weiteren Bezugsrahmen, der eine Vielzahl von Impulsen für den transkulturellen Dialog unter den involvierten Studierenden bereithält.
Eine genussvolle Verkostung emanzipatorischer Strategien
Mon Ch3rix – eine genussvolle Verkostung emanzipatorischer Strategien und an der Schnittstelle visueller und performativer, künstlerischer Praxen entstehende queer-feministische Soirée. Sowohl als Abendveranstaltung als auch als Ausstellung umsetzbar, soll die Show an verschiedenen internationalen Veranstaltungsorten stattfinden, jeweils mit Anbindung an den lokalen Kontext.
Vorgeblicher Anlass der Veranstaltung ist ein Tasting. Überraschend erweitert wird der Abend innerhalb eines Raumes, der an eine Bar erinnert, von theatralen und anti-theatralen Momenten des Rollenspiels sowie von transmedialen Darreichungen wie Zeichnungen, Film- und Soundarbeiten und Print-Elementen, die sich alle scheinbar zu einem atmosphärischen Argument verdichten, das den «Mythos Mon Chéri», und damit einhergehend, patriarchale und repressive Mythen dekonstruiert und in einer Feier der Selbstliebe und Süsse mündet.
Verkostet werden Getränke und ästhetische Süssigkeiten. Die genauere Betrachtung der alkoholhaltigen Kirschpraline und ihres süssen Geschmacks führt unter anderem zur Figur der fiktionalen Kirschtesterin Claudia Bertani als Startpunkt der Untersuchung der ästhetischen Kategorie der Süsse.
Sianne Ngais’ Verständnis von Cuteness als gender-abhängige Ästhetisierung der Machtlosigkeit folgend, fragen die an dieser Soirée versammelten Arbeiten: «Warum werden bestimmte Menschen, Objekte, Bildsprachen als «cute» bzw. «süss» wahrgenommen und welche Formen der Trivialisierung, Repression und des Machtentzugs stecken dahinter?»
Statt die Süsse und ihre Symbolik abzulehnen, steigern wir uns bis zu einer explosiven Klimax in sie hinein – «Cuteness» entfaltet sich als Strategie, um das Geschmack- und Machtlose ästhetisch anziehend zu machen. Aus Mon Chéri wird Mon Ch3rix und so mündet der Abend zunehmend in einer Feier der Selbstliebe und einer durch das Format angestossenen solidarischen Begegnung mit unterschiedlichen queer-feministischen Akteur:innen.
Ein hybrides Theaterprojekt zu ökologischen und sozialen Themen in der Mojave Wüste
Der Ort Mojave liegt in der gleichnamigen kalifornischen Wüste die seit Jahrzehnten als Trainingsort für Bombenabwürfe und Raketentests dient. Durchschnitten von Autobahnen, Rennstrecken und der Eisenbahn dient die Wüste als Schrottplatz für Flugzeuge. In diesem Bühnenbild aus der Zukunft, dieser dystopischen Metapher erinnern Minenschächte an die Zeit der Goldgräber aber es entstanden auch unterirdische Trinkwasserpipelines für Los Angeles, Solarparks und Windfarmen.
«New Green Land» findet live in der Wüste durch Übertragung in einem Theaterraum der ZHDK statt. Die Zuschauenden begegnen online zwei Performenden (Agents). Diese real existierenden Agents erkunden in Echtzeit die Mojave Wüste auf einer Fläche von 100x100 Metern mit einem Augmented Reality App unter anderem zu folgenden Themen bieten: Klimaveränderung, seismische Aktivitäten, Geschichte des Landraubs an Native Americans, Bau der Eisenbahn, Veränderungen der Pflanzen- und Tierwelt, Entwicklung nach dem Goldrausch bis zur Errichtung der Flughäfen und Windfarmen.
Dieses Material wird recherchiert und aufbereitet als AR Link von Studierenden des Bereichs Expirience Design and Production des California Institute of the Arts. Die Links werden bestehen aus dramatisierten oder dokumentarischen Audio- und Videofiles, musikalische oder choreografische Handlungsanweisungen von Native Americans, Künstler:innen, Botaniker:innen, und anderen, die von den Agents umgesetzt werden.
Die Zuschauenden in Zürich können den Agents dabei nicht nur virtuell über die Schulter schauen, sondern interaktiv Fragen stellen und Aufträge vergebe.
Dieses Projekt ist als Pilot gedacht für ein durational piece: 138 AR Geotags bilden die Eckpunkte der Buchstaben der drei Wörter NEW GREEN LAND. Sie füllen ein Quadrat von 100x100 Metern aus und sollen aus der Drohnenperspektive lesbar werden. Das Aussäen von indigenen Pflanzensamen ist Teil der Aktivitäten der Agents und führt zu einer Verdichtung der Pflanzen zwischen den Geotags wodurch die Worte sich deutlich von der Umgebung abheben.
Methoden:
Praxisbasiertes Erforschen digitaler Techniken im Theater
Zielsetzung:
Pilotproduktion in der ZHdK mit Live-Übertragung aus der Mojave Wüste in Kooperation mit Studierenden der Calarts, USA und der ZHdK.
In Zusammenarbeit mit dem brasilianisch-amerikanischen Forscher Felix Toro werden in diesem Projekt die Entwicklungen im nordbrasilianischen Bundesstaat Bahia in den 50er und 60er Jahren untersucht. Insbesondere diejenigen des Museums für Moderne Kunst in Bahia während Lina Bo Bardis Amtszeit (1959 – 1964); des von Anísio Teixeira geschaffenen Schulparks; einer Schule, die neben vielen weiteren Besonderheiten die grösste Wandmalereisammlung modernistischer Maler in Brasilien beherbergt; des «Museums des Südatlantiks», ein vor seiner Eröffnung abgebrochenes Projekt, das ein regionales Museum vorsah – ein interdisziplinärer Ort, dessen Aufgabe es sein sollte, das Gebiet des Südatlantiks zu erforschen.
Ausgehend von kritischen Diskussionen über die Rolle des Museums und der Bildung im Kontext postkolonialer, feministischer, ökologischer und anderer Auffassungen der Moderne und der Aufklärung, erscheint der Fall Bahia nicht nur deutlich anders als das, was damals im übrigen Brasilien geschah, sondern vor allem als ein wichtiger Ansatz, von dem aus das Kunstmuseum und die Bildung neu überdacht werden sollten. Die Museumsschule von Lina Bo Bardi, das «Museum des Südatlantiks», der «School-Park» und die Biennalen von Bahia sind einige der institutionellen Ausdrucksformen des Versuchs, die spezifischen Bedingungen des kolonialen Gebietes zu berücksichtigen und nicht blind die europäischen Modelle zu kopieren. All diese Orte entstanden in ein und derselben Stadt, innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren.
Durch die Kombination von Exkursionen, Archivrecherchen und praktischen Workshops will das Projekt das vergessene Wissen aus Bahia ausgraben, daraus lernen, es weiterdenken und weiterentwickeln.
ACT kann als offenes Laboratorium für die Erprobung performativer Projekte und künstlerischer Strategien betrachtet werden. Das Festival bietet den Studierenden die Möglichkeit, ihre Performance-Praktiken einem heterogenen Publikum vorzustellen. ACT 2022 findet vom 6. bis 8. Mai 2022 in Biel/Bienne statt und feiert damit sein 20-jähriges Bestehen.
ACT 2022 bringt Kunststudierende zu einem überregionalen Treffen rund um die Performancekunst zusammen. Das dreitägige Programm wird an verschiedenen Orten in der Stadt Biel stattfinden, wobei jeder Ort eine einzigartige physische und technische Situation bietet, in der die Studierenden ihre Performance-Arbeiten zeigen können. Neben dem öffentlichen Performance-Programm wird es täglich eine Live-Runde mit Studierenden und ausgewählten Gästen geben, die über den Stand der Performancekunst in der Schweiz und das Potenzial für überregionale Netzwerke reflektiert.
Zum ersten Mal schlägt ACT eine Brücke zwischen den Sprachregionen der Schweiz und steht für das Miteinander, die Begegnung und den sprachlichen und kulturellen Austausch zwischen den verschiedenen Sprachen.
Der Fachbereich Bildende Kunst an der ZHdK hatte in den letzten Jahren einen unglaublichen Zuwachs an internationalen Studierenden zu verzeichnen. Es ist wichtig, diesen internationalen Studierenden die Möglichkeit zu bieten, sich mit Studierenden anderer Kunsthochschulen zu vernetzen, und den Schweizer Studierenden mehr Möglichkeiten zu geben, in einem vielfältigeren Umfeld zu arbeiten. Es ist auch zentral, dass Studierende, die sich mit performativen Praktiken auseinandersetzen wollen, ihre Arbeiten im Rahmen eines Performance-Festivals zeigen können. Drei Tage gemeinsam mit Studierenden und Kunstschaffenden aus der ganzen Schweiz zu verbringen ermöglicht ihnen, ihr Netzwerk zu erweitern, neue performative Praktiken zu entdecken und neue Kollaborationen zu starten.
In seinem Roman «Herkunft» erzählt Saša Stanišić seine Familien- und Migrationsgeschichte; hierbei geht der Autor der Frage der Bedeutsamkeit von Erinnerung für die individuelle Identitätskonstruktion nach. Die Geschichte ist einerseits sehr persönlich erzählt, andererseits handelt es sich um eine Geschichte universellen Formats, insofern sie auf ähnliche Weise von vielen Menschen weltweit erfahren wird. Es ist dies die Geschichte von Krieg, Flucht und Migration und dem Verlust von Heimat. Zugleich erzählt sie von Ankunft und Integration, von der Selbstermächtigung durch die Sprache, vom Zuhausesein in unterschiedlichen Welten, aber auch von der Komplexität von Herkunft und Identität.
Das Theaterprojekt adaptiert Teile des Romans für eine digitale Bühne; es geht hierbei der Frage nach, inwiefern, bzw. unter welchen Umständen Theater in einem virtuellen Raum möglich ist. Konstitutiv für das Theater ist die Kopräsenz von Spieler:innen und Zuschauer:innen in einem gemeinsamen Raum . Es stellt sich die Frage, inwiefern dieser Raum virtuell sein kann oder ob seine physische Konstitution zwangsläufig vorhanden sein muss? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine Online-Aufführung auch tatsächlich als Theater erlebt und nicht allein als Film- oder Videokunst erfahren wird? Im Zuge der Corona-Pandemie und dem Ausfall von Theater gewinnen diese Fragen an Bedeutung. Um Antworten zu finden, werden wir szenische Experimente im digitalen Raum durchführen; hierbei sollen insbesondere die Aktivierung und Involvierung des Publikums ausgelotet werden.
Der Roman «Herkunft» bietet eine ausgezeichnete Vorlage hierfür, da in seinem letzten Teil die Leser:innen bestimmen können, wie es weitergehen soll. Dieses Prinzip der Partizipation wird in dem Experiment auf die Zuschauenden übertragen, mit der Hoffnung, zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis und einem Live-Moment beitragen zu können. Dem Roman-Thema «Migration» folgend, erscheint es hierbei sinnvoll, eine digitale Reise zu kreieren. Menschen migrieren an Orte, das Theater in die Virtualität. Die Digitalität erlaubt uns, die Geschichte nicht-linear, fragmentarisch und fantastisch zu erzählen und so auch formal auf die Funktionsweisen des Erinnerns und Fabulierens einzugehen.
Um die für den Roman charakteristische Pluralität von Geschichten, Perspektiven und Identitäten auch auf struktureller Ebene in das Projekt einzubringen, werden verschiedene Künstler:innen aus den Bereichen Malerei, Illustration, Animation, Videokunst, Game-Design, Grafik- und Webdesign, Komposition, Gesang und Sound Design miteinbezogen; sie gestalten jeweils einzelne Szenen oder Erzählstränge visuell, bzw. auditiv. Diese Szenen können über die Projekt-Homepage bei den Aufführungen «betreten» werden, wobei die Zuschauer:innen die Reihenfolge der Szenen selbst bestimmen und den Verlauf der Geschichte mitbeeinflussen können. Dabei können sie Live-Begegnungen und Interaktionen erfahren. Der letzte Teil ist als Computerspiel gestaltet. So kann jede:r eine eigene Reise im digitalen Raum zum Thema «Herkunft» erleben und sie mit anderen teilen.
Ziel dieses forschungsbasierten Projekts ist es, der Dekolonisierung und ihren Auswirkungen auf die Öffentlichkeit nachzugehen. In diesem Forschungsfeld ist das Medium der Performance eine innovative Art, vor Ort Fragen stellen. Die Aktionen und Performances im öffentlichen Raum sind eine Möglichkeit, ihren alltäglichen Gebrauch und ihre Grenzen innerhalb einer Stadt zu beobachten und zu analysieren.
Wenn wir öffentlich genutzten Raum als kulturellen, politischen, ökonomischen und sozialen Ausdruck verstehen, der durch ebendiese öffentliche Nutzung geprägt wird , so wird er zum Spiegel der zeitgenössischen Gesellschaft. Der Raum stellt so ein sich wandelndes Phänomen dar, und zwar sowohl auf Ebene der Strasse als auch auf Ebene der Stadt. Aufgrund seines schnellen Wachstums entstehen Probleme der Segregation und Ausgrenzung. Wenn wir die Stadt als Spiegel der Gesellschaft wahrnehmen, müssen wir sie auch von der anderen Seite betrachten: Als Stadt die mit ihren Fragmentierungen auch eine geteilte Nation schafft, in der das Miteinander nicht mehr zählt und Verwandtschaft nicht gelebt wird. Die Privatisierung der öffentlichen Räume verstärkt diese Spaltung und diese wiederum erzeugt hierarchische Gewalt.