Das zeitgenössische Theater kennt eine grosse Fülle an verschiedenen Ausdrucksformen und Spielweisen, die an die Schauspielerinnen und Schauspieler ganz unterschiedliche Anforderungen stellen. Der Theaterwissenschaftler und Dramatiker Jens Roselt verdeutlicht diese Tatsache, indem er einen fiktiven Wochenspielplan eines deutschsprachigen Stadtoder Staatstheaters beschreibt: «Dienstag ein Klassiker von Goethe, Mittwoch etwas von Büchner, Donnerstag ein neues Stück, Freitag ein Shakespeare, Samstag eine Boulevardkomödie, Sonntag ein anderer Shakespeare und Montag ist eigentlich frei, wäre da nicht eine als ‹Performance› bezeichnete Veranstaltung im Parkhaus des Theaters.»
Die Schauspielerinnen und Schauspieler setzen sich also mit Texten aus ganz unterschiedlichen Zeitepochen auseinander, begegnen verschiedenen Regisseurinnen und Regisseuren mit ganz unterschiedlichen Arbeitsweisen und Ästhetiken und sind permanent auf der Suche nach der „richtigen“ Spielweise. Eine der darstellerischen Herausforderungen mit denen Schauspielerinnen und Schauspieler konfrontiert werden, ist unter anderem das Nicht-Schauspielen, wie es möglicherweise in einer Performance von ihnen verlangt werden könnte. In vielen zeitgenössischen Theaterformen ist weniger die Verwandlungskunst der Schauspielerinnen und Schauspieler gefragt, sondern vielmehr ihre Fähigkeiten als Performer, die authentische Präsenz des Darstellers auf der Bühne.
Michael Kirby beschrieb in den achtziger Jahren die Bandbreite zwischen Schauspielen [acting] und Nicht-Schauspielen [not-acting] als ein Kontinuum von Verhaltensweisen, in dem verschiedene Abstufungen möglich seien und erfand damit ein Instrument, das es ermöglichen sollte, darstellerisches Handeln zu beschreiben, das ganz ohne Figur und dramatische Situation auskommt.