Ausgangspunkt der Masterarbeit von Alina Mathiuet ist das Potential von sogenannten Übersprungshandlungen. Sie treten unbewusst auf, sind individuell und nicht gesellschaftlich normiert. Sie untersucht das Phänomen Übersprungbewegung aus verschiedenen gestalterischen und theoretischen Perspektiven.
Mit Objekten soll die tragende Person auf die unbewusste Handlung des eigenen Körpers aufmerksam gemacht und sensibilisiert werden. Anhand prototypischer Schmuckstücke wird untersucht, inwiefern unterschiedliche Materialien und Formgebungen sich auf die Person auswirken und die haptische Empfindung in der Mensch-Objekt-Beziehung betrachtet.
Mein Blick gleitet durch einen Raum. Ein Sitznachbar folgt konzentriert der laufenden Diskussion. Er ist mit einem grauen Kugelschreiber ausgerüstet, allerdings ist er nicht besonders angeregt am Notieren, stattdessen bohrt er sich mit dem Stift eine Art imaginäres Loch in die Wange. Alle paar Umdrehungen des Stifts schliesst er sein Gebiss, drückt den Kugelschreiber dagegen und lässt mit einem Klickgeräusch die Mine hinein und hinaus fahren. Zwei Reihen weiter vorne nestelt sich eine Zuschauerin eine Haarsträhne aus dem Zopf, dreht diese um den rechten Zeigefinger, um sich dann mit dem eingewickelten Finger mehrmals über das Ohr zu fahren. Dann ist die Nächste mit ihrer Präsentation an der Reihe. Sie steht auf, geht nach Vorne und fährt sich von einem schniefenden Geräusch begleitet mit der linken Hand über die Nasenspitze, bis diese dem Druck der Reibung nachgibt, über den Nasenrücken gedrückt hochgezogen wird und wieder zurück an ihren Platz rückt. Diese Bewegung habe ich bei ihr öfters beobachtet. Zum Beispiel während hitzigen Diskussionen oder kurz vor dem Aufschlag des Gegners während einem Volleyball-Spiel. Es ist eine Berührung der Hand eines anderen Körperteils oder Kleidungsstückes, welche scheinbar nicht in die Situation passt und wird in der Literatur als Übersprungbewegung bezeichnet.
Ich selbst wurde von meiner Praxismentorin auf einige meiner eigenen unbewussten Handlungen aufmerksam gemacht. Dazu gehören: "die Hose an zwei Gurtschlaufen mit den Zeigefingern energisch nach oben zu ziehen" und "mit der rechten Hand über die linke Augenbraue fahren und die Stirnfransen zurück wischen". Nach der Rückmeldung versuchte ich mich auf die Bewegungen zu konzentrieren. Ich bemerkte die Handlung jedoch immer erst während der Ausführung. Es interessiert mich, dass diese Bewegungen unbewusst auftreten, individuell und nicht gesellschaftlich normiert sind.
In dieser Arbeit beschreibe ich dreidimensionale Objekte, die ich auf Grund dieser Beobachtungen entwickelt habe. Diese werden an der jeweiligen Körperstelle getragen, an der die spezifische Übersprungbewegung stattfindet. Durch das Objekt will ich die tragende Person auf die unbewusste Handlung des eigenen Körpers aufmerksam machen und sensibilisieren. Anhand der entstandenen Objekte untersuche ich, inwiefern unterschiedliche Materialien und Formgebungen sich auf die Person auswirken, wie sich die Funktionsweisen: Schmuck, Korrektur, Überzeichnung und Aufzeichnung auf die Übersprungbewegung übertragen und wie diese Entscheidungen bezüglich Form und Material auf meine Designpraxis zurückwirken. Der erste Teil eröffnet das Untersuchungsfeld mit den beschreibenden Beobachtungen meiner Modelle, die parallel oder im Vorfeld zur schriftlichen Arbeit entstanden sind. Durch die Untersuchungen stosse ich auf die Haptik als Bindeglied zwischen Objekt und Mensch. Auf diese Form der Empfindung wird im zweiten Teil der Arbeit, losgelöst von der Übersprungbewegung eingegangen. Ich beginne mit der Unterscheidung von taktil und haptisch, um dann die haitische Empfindung in der Mensch-Objekt-Beziehung zu betrachten. Zwei Beispiele aus der Designpraxis zeigen abschliessend auf, wie Haptik Körperempfinden vermitteln kann.
The starting point for the Master's thesis of Alina Mathiuet is the potential of "displacement activities". These are unconscious actions that are individual and not defined by social norms. The author investigates the phenomenon of displacement movements from a range of artistic and theoretical perspectives.
She suggests the use of objects to draw the wearer's attention to the displacement actions of his/her own body, and to create greater awareness of these actions. Prototype jewellery objects are used to investigate the extent to which different materials and contours act on the individual, and haptic sensation in the human-object relation is examined.
My gaze wanders around the room. The person sitting beside me is following the discussion intently. He has a grey ballpoint pen, but is not particularly interested in taking notes, instead he uses the pen to drill a sort of imaginary hole in his cheek. After every two or three turns of the pen, he closes his jaw, presses the pen against it, and clicks the tip in and out. Two rows in front of us, I see a woman pulling a strand of hair out of her plait and winding it around the first finger of her right hand. She then passes her finger, with the hair wound around it, several times over her ear. Then it is the turn of the lady sitting next to her. She stands up, walks towards the front, and to the accompaniment of a sniffing sound draws her left hand over the tip of her nose and rubs it, until it yields to the frictional force, is pushed up over the bridge, and then jumps back into its normal place. I have often seen her do this – when she is having an argument, for example, or just before her opponent strikes the ball in a volleyball match. Passing the fingers over a part of our body or clothing that appears to have nothing to do with the interaction situation is known in the literature as "displacement activity".
My practice mentor has drawn my attention to some of my own unconscious movements. These include "hoisting your trousers up by the belt loops", and "running your right hand over your left eyebrow and pushing back the strands of hair on your forehead". Since she told me this, I have tried to focus on these movements, but every time, I realize I am doing it only once the action is in progress. I find it interesting that these movements are carried out unconsciously, and that they are individual and not defined by social norms.
In this thesis, I describe some three-dimensional objects that I have developed on the basis of these observations. They are to be worn on the part of the body in which the specific displacement movement takes place. The aim is for the object to draw the person's attention to the unconscious action being performed by their own body, and make them aware of it. With the objects I have created, I investigate the extent to which different materials and contours act on the individual, how a range of operating modes: jewellery, adjustment, exaggeration and recording, transfer to the displacement movement, and how these decisions regarding form and material impact on my design practice. The first part opens up the field of investigation with descriptive observations of my models, created in parallel with or prior to writing the thesis. Through these investigations, I encounter the function of haptics as connector between people and objects. The second part of the thesis examines this form of sensation, with no further reference to displacement movements. I begin with the distinction between tactile and haptic, and then examine haptic sensation in the context of the human-object relationship. Finally, two examples from my design practice demonstrate how haptics can mediate corporeal sensation.