Die kollektive Arbeitsweise ist für die Performancegruppe Gob Squad ein zentrales Element
ihrer Arbeit. Sie betrachten das kollektive Arbeiten nicht nur als wesentlichen Faktor für ihre
Art, zu proben und zusammen zu arbeiten, sondern auch für die entstehenden Arbeiten. Inhalt
und Form der entstehenden Aufführungsereignisse sind untrennbar mit der kollektiven Vorgehensweise
verknüpft und nur durch diese möglich.
Der künstlerische Mehrwert des Kollektiven bei Gob Squad soll in dieser Arbeit als Aufhänger
dienen, das Potential kollektiver Arbeitsweisen für die theaterpädagogische Arbeit zu er forschen,
indem kollektives Arbeiten nicht als politisches Ideal von Gemeinschaft und Gleichheit
betrachtet wird, sondern unter der Prämisse, dass solche Arbeitsweisen zu Aufführungsereignissen
von besonderer ästhetischer und inhaltlicher Qualität führen.
Gob Squad beschreiben im Bezug auf ihre kollektive Arbeitsform, dass der besondere Zugriff,
die besonderen Kompetenzen und Schwächen, das Wissen und die Fragen des Einzelnen entscheidend
sind, um gemeinsam mit den anderen Beteiligten etwas entstehen zu lassen, was
durch die unterschiedlichen Zugänge eine besondere Qualität erhält, wobei diese sowohl in
Prozess selbst als auch im Produkt des Prozesses liegt (vgl. Gob Squad 2010: 14f).
Eine Grundannahme für das künstlerische Arbeiten mit nicht-professionellen Beteiligten be -
steht darin, dass von einer „Interessantheit“ der einzelnen ausgegangen wird; davon, dass ihre
Lebensrealität, ihr spezifisches Wissen, ihre Erfahrungen und Gedanken und ihre besondere
und einzigartige Art sich zur und in der Welt zu verhalten das Theater bereichern und zu besonderen
Bühnenereignissen beitragen können. Teilweise wird dies bis zu dem Extrem getrieben,
dass spezielle „Alltagsexperten“ explizit gesucht und von professionellen Theatermachern inszeniert
werden, wie dies beispielsweise in den Inszenierungen von Rimini Proto koll der Fall
ist.
Die kollektive Arbeitsform soll in dieser Arbeit als eine betrachtet werden, welche besondere
Möglichkeiten bietet, die oben genannten Qualitäten des Einzelnen in den Probenprozess einzubringen
und so in der Arbeit mit nicht-professionellen Darstellern Bühnenereignisse zu produzieren,
die von diesen besonderen Qualitäten bereichert und in Inhalt und Form einzigartig
und vielschichtig sind indem sie über die Subjektivität und Abgeschlossenheit des Zugriffs ei -
nes Einzelnen hinausgehen.
Diese Beschränkung auf den „künstlerischen Wert“, das Zweckmäßige des Kollektiven im Sinne
der Produktion von Kunst, ist eine methodische Entscheidung, die nicht von einer Be deutungslosigkeit
eines möglichen sozialen oder politischen Mehrwerts einer kollektiven Arbeits -
weise ausgeht, sondern diesen zugunsten einer genauen Untersuchung beiseite lässt in der
Hoffnung, dass sich über diesen Blickwinkel andere Perspektiven für Arbeitsweisen eröffnen
als über die politische Forderung der Aufhebung von Hierarchien oder das (reform-)pädagogische
Ideal der Gleichberechtigung der Beteiligten.
Den wesentlichen Unterschied zu einem kollektiven Zusammenschluss professionell ar beitender
(und ausgebildeter) KünstlerInnen macht in der Theaterpädagogik das Vorhandensein eines
„Leitenden“ aus: Ein/e TheaterpädagogIn1 initiiert das Zusammenkommen einzelner als Gruppe,
legt einen Startpunkt, entscheidet in irgendeiner Form, wie und an was gearbeitet wird und
bestimmt in letzter Instanz auch darüber, dass „kollektiv“ gearbeitet werden soll.
Bei den Beteiligten handelt es sich in der Regel um eine zahlenmäßig überlegene Gruppe von
nichtprofessionellen Spielern, die über keine professionelle Theaterausbildung und keine Er -
fahrung als entscheidungstragende Akteure in künstlerischen Prozessen verfügen auf der einen
Seite und einem/r einzelnen ausgebildeten und/oder erfahrenen Anleitenden auf der anderen
Seite.
In dieser Untersuchung sollen Besonderheiten der Arbeitsweise Gob Squads zunächst anhand
der von der Gruppe selbst herausgegebenen Monografie „Gob Squad und der unmögliche Ver -
such daraus klug zu werden“ (Gob Squad 2010) herausgearbeitet werden, um aus diesen abzuleiten,
welche spezifischen Kenntnisse, Kompetenzen und Erfahrungen bei den Mitgliedern
und als Gruppe Grundlage dieser Arbeitsweise sind.
In einem zweiten Schritt soll im Sinne einer Übertragung auf theaterpädagogische Arbeitsweisen
herausgearbeitet werden, welche der oben genannten Voraussetzungen bei nicht-pro fessionellen
Darstellern aufgrund mangelnder Erfahrung und Übung nicht vorauszusetzen sind.
Versuchsweise soll der Theaterpädagoge als „Ersatz“, als eine Art „Kompensator“ für diese
„Mängel“ begriffen werden, um neue Erkenntnisse über seine Rolle und einen möglichen Umgang
mit der im Unterschied zum Künstlerkollektiv offensichtlich vorhandenen Hierarchie zu
gewinnen.
Als Gegenbeispiel zur Arbeitsweise von Gob Squad wird in diesem Schritt die Arbeitsweise
der Gruppe Rimini Protokoll herangezogen, die mit nicht-professionellen Beteiligten als Dar -
steller professionelle künstlerische Produktionen erarbeiten, indem sie eine strikte Trennung
von Regie- und Spielerposition aufrecht erhalten.
Im letzten Schritt werden auf Grundlage der Ergebnisse der Untersuchung Ausblicke auf mög -
liche theaterpädagogische Arbeitsformen entwickelt, die die Entfaltung des künstlerische, soziale
und politische Potential kollektiver Arbeitsformen zum Ziel haben. In Bezugnahme auf
den Kunstbegriff, den Uwe Wirth in einer Neuformulierung des Dilettantismusbegriffes formuliert
(Wirth 2010) wird die Perspektive eröffnet, die Theaterpädagogik als Ermächtigung zum
kollektiven künstlerischen Arbeiten durch die Vermittlung künstlerischer Kompetenzen zu betrachten.
Abschliessend erfolgt ein Ausblick auf Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen
in Theorie und Praxis.