Am Anfang dieser Arbeit steht das ganz allgemeine Interesse an der Antike und ihrem Theater.
Bei der der Suche nach Themen oder Stücken für meine Abschlussinszenierung im Master tauchten verschiedene antike Stoffe immer wieder auf. In den verschiedensten Bearbeitungen las ich vor allem antike Tragödien und war immer wieder fasziniert von ihren Themen. Die Frage nach der Aktualität dieser Stoffe stellte sich zwangsläufig, besonders, nachdem die Entscheidung gefallen war, Medea zu inszenieren. Warum sich auf solch alte Geschichten beziehen und nicht ein heutiges Thema behandeln, ein Stück aus der eigenen Generation? Warum sich auf Euripides stützen und nicht eine modernere Fassung wählen? Das Interesse an dem antiken Stoff ließ sich nicht genauer benennen und evozierte einige Überlegungen und Recherchen zu antiken Stücken und ihren Bearbeitungen.
Nach wie vor finden sich zahlreiche Stoffe aus der Antike auf den Spielplänen der deutschsprachigen und internationalen Bühnen. Gleichzeitig tauchen immer wieder Bearbeitungen der Stoffe in der Literatur auf. Vor allem die Bearbeitungen der Tragödien scheinen omnipräsent und von großem Interesse. Fast alle zeitgenössischen Stücke, die als tragisch bezeichnet werden, beziehen sich in irgendeiner Form auf antike Vorlagen, Mythen oder ältere Stücke. Daraus ergibt sich nahezu automatisch die Frage, ob eine eigenständige Tragödie ohne Vorlage in der heutigen Literatur überhaupt noch existent sein kann. Gibt es überhaupt noch tatsächliche Tragödien oder handelt es sich immer um Bearbeitungen antiker Tragödien? Was genau muss ein Stück mitbringen, um eine tatsächliche Tragödie zu sein? Sowohl inhaltlich als auch formal? Und worin genau liegt der Reiz dieser antiken Tragödien, dass sie seit zweitausend Jahren wieder und wieder umgedeutet und aufgeführt werden?
Es reizt mich zu überlegen, warum Themen wie Rache, Liebe und Mord auf deutschsprachigen Bühnen nach wie vor in antiken Stoffen verhandelt werden, sei es in Bearbeitungen oder Inszenierungen der erhaltenen Stücke. Besonders die Dichte der antiken Tragödien in den Spielplänen drängt sich nahezu auf. Viele Literatur- und Theaterwissenschaftler haben Überlegungen zur Tragödie im Jetzt publiziert und die Frage gestellt, ob eine Tragödie im Heute überhaupt noch schreibbar ist. Lassen sich Tragödien wie jene von Euripides, Aischylos und Sophokles in heutigen Werken finden? Oder liegt in der Unmöglichkeit dieser
heutigen Tragödie der Grund für das Interesse und die Bearbeitungen antiker Tragödien?
Diese Arbeit wagt ein Gedankenexperiment. Sie setzt ein heutiges Stück einer antiken Tragödie gleich und überprüft diese Lesart auf ihre tatsächliche Machbarkeit. Am Anfang dieses Experimentes steht die Frage, ob ein heutiges Stück eine Tragödie sein kann oder einfach nur tragisch. Es geht also um aktuelle Stücke, welche nicht auf Mythen oder Vorlagen basieren, sondern sich auch inhaltlich vollkommen in der Gegenwart verorten.