«Du bist Medea», sagt der Musiker und Mitspieler Johannes Rieder zu Maja Beckmann nach Aufführungsbeginn am 19.09.2020 in der Schiffbau-Box und wiederholt es direkt nochmals. «Du bist Medea». Dann wendet er sich ans Publikum und sagt: «Sie ist Medea.»
Maja Beckmann wird als Spielerin angerufen, Medea zu sein. Erst nach dieser Anrufung beginnt sie, Medea zu verkörpern und aus ihrer Perspektive zu sprechen. Sichtbar wird der Kampf der Spielerin Maja Beckmann mit der Repräsentation einer antiken Frauenfigur, der nicht nur das Töten von König Kreon und dessen Tochter Glauke, sondern auch der Mord an den eigenen Kindern zugeschrieben wird.
Sie wird förmlich in ihre Rolle gedrängt; vom Publikum, das eine Medea erwartet, von ihrem Mitspieler, der sie als Medea anruft und von sich selbst, die sie weiss, dass sie in diesem Moment auf der Bühne, Medea zu sein hat.
Auch wir werden täglich angerufen, etwas zu sein. Und genauso wie Maja Beckmann, aber auch das Publikum weiss, dass Johannes Rieders Aussage «du bist Medea» bedeutet, dass sie in der Rolle, die sie als Spielerin einzunehmen hat, ihre Kinder töten wird, wissen auch wir, welche Erwartungen mit den Benennungen, die wir erfahren, einhergehen.