Wir leben in der Postmoderne, in einer Zeit der Digitalisierung, der Beschleunigung. Was bedeutet das? Verschiedene Begriffe werden von Soziolog*innen, Historiker*innen und Philosoph*innen auf unsere Gesellschaft angewendet: „Gesellschaft der Angst“, "die berührungslose Gesellschaft“, „Müdigkeitsgesellschaft“, und so weiter.
Was also bedeutet es für das Theater, in einer solchen „Gesellschaft“ Theater sein zu müssen? In einer Zeit, von der manche behaupten, dass es das Theater in diesem Sinne nicht mehr braucht? Ist es wirklich so, wie gerne behauptet wird, dass Theater nur noch „l`art pour l`art“ produzieren kann und sich in seiner eigenen Blase einzig um sich selbst dreht?
Ich, als passionierte Theaterschaffende, möchte am liebsten der ganzen Welt erklären, dass Theater wichtig ist, warum Theater wichtig ist und warum alle ins Theater gehen sollen.
Ich habe mich im Rahmen meiner Kolloquiumsprüfung intensiv mit dem Thema „Zeit und Theater“ auseinandergesetzt. Und auch in meinen praktischen Arbeiten tauchte immer wieder die Frage auf, wie man/frau es als Theaterschaffende*r ermöglichen kann, dass es an einem Theaterabend darum geht, Zeit miteinander zu verbringen.
Wie bringt man/frau Rezipient*innen beispielsweise dazu, dass sie den Theatermacher*innen freiwillig einen Abend zur Verfügung stellen, also Zeit mit ihnen teilen? Tatsächlich stellt das für mich immer wieder eine Herausforderung dar, sobald ich mit Menschen darüber ins Gespräch komme, die nicht in dieser „Theaterblase“ leben.
Das ist, was Theater ja eigentlich ist und ausmacht: Die Entscheidung, für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort etwas anzuschauen bzw. darzustellen.
Aber nicht nur in Auseinandersetzung mit dem potenziellen Publikum, sondern auch während der Probenzeit erweist es sich immer wieder als essentiell, dass alle Beteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammenfinden, damit ein grosses Ganzes entstehen kann.
Gerade in der heutigen Zeit, in der immer mehr Distanzen abgeschafft werden und Zeit als eine kostbare Ressource gilt4, stellt es tatsächlich eine Herausforderung dar, Theater zu machen.
Ich stiess bei meinen Recherchen über Zeit und Theater unter anderem auf den Soziologen Hartmut Rosa, der in seinen bisher erschienenen Werken eine „kritische Theorie spätmoderner Zeitlichkeit“ entwirft, in welcher er die Beziehung der Menschen der Postmoderne zur Welt genauer untersucht und sich fragt, wie „gutes Leben“ geht und warum diese Menschen (wir) kein gutes Leben führen. Er entwickelt soziologische Denkfiguren, mit Hilfe derer er die Weltbeziehung detailliert beleuchtet, und kommt zu dem Schluss, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Welt durch gegenseitige Wahrnehmung und Antwortbereitschaft eine Verbesserung erfahren würde. Dadurch würde sich nämlich eine „Resonanz“ einstellen, die es seiner Meinung nach für eine gesunde Weltbeziehung braucht. Dabei bezieht sich Rosa insbesondere auf das sogenannte „Unverfügbare“ in der Welt. Etwas, was in einer Welt, in der alles kontrollier- und beherrschbar erscheint, eben nicht kontrollier und beherrschbar ist.
Dieses „Unverfügbare“ begann, mich zu interessieren. Je mehr von Rosas Theorien ich las, desto mehr überkam mich das Gefühl, dass Theater in dieser von Rosa beschriebenen optimierungs- und effizienzorientierten Welt genau dieser Schnittpunkt der Mensch-Weltbeziehung sein kann (oder sogar ist), nach dem Rosa so intensiv sucht.