Die Frage nach Fiktion und Fiktionalität wird in der Theaterkritik und Theaterwissenschaft herzlich selten gestellt. Ist die Unterscheidung zwischen fiktional und faktual in der Betrachtung des geschriebenen Wortes oft prekär, schillernd oder fragwürdig, scheint sich diesbezügliche Unsicherheit bei Bühnenwerken selten aufzudrängen. Die Rahmung von Vorhängen, Bühnenbrettern und Rig liefert einen Paratext, scheinbar so eindeutig wie die Umschlagaufschrift ‹Roman› oder die Buchhandlungsabteilung ‹Belletristik›. Also, bis auf Ausnahmen. Podiumsdiskussionen sind natürlich faktual, das ist schon klar. Klar auch, dass die Rede, mit der eine neue Intendantin auf der Hauptbühne die Spielzeit eröffnet, ambitioniert und übermässig optimistisch sein mag – fiktional ist sie noch lange nicht. Aber was ist, wenn diese Intendantin nun eine Produktion der Gruppe Rimini Protokoll2 ins Programm aufgenommen hat? Eine Produktion, die unter der Beschreibung ‹Dokumentartheater› Lai*innen als ‹Expert*innen des Alltags› auftreten und autobiografisches Material erzählen lässt. ‹Dokumentartheater› – das klingt nicht mehr so fiktional und inwiefern ‹Expert*innen› schauspielern bliebe auch zu klären. Lässt man das Stadttheater und seine Samtvorhänge hinter sich und betritt die Aufführungsstätten der Freien Szene wird die Situation nur noch undeutlicher. Da stehen dann häufig Menschen auf der Bühne, die laut Programmzettel professionell Theater machen – also keine Lai*innen – und sprechen das Publikum direkt an, stellen sich mit ihren bürgerlichen Namen vor und erzählen aus ihrem Leben. Oder aus dem Leben ihrer Grosseltern. Oder davon, wie sie zu einem Thema recherchiert haben und welche Fundstücke ihnen dabei in die Hände gefallen sind. Dabei wirken sie ‹authentisch›, obwohl ihre Geschichten vielleicht ein wenig zu gut zum Thema passen, obwohl das angeblich Erlebte ein wenig zu spektakulär ist. Nach der Vorstellung steht man dann bei einem Weisswein und fragt sich, ob das jetzt echt war. Vielleicht sollte man die Performerin abpassen und fragen, ob sie die Geschichte wirklich erlebt hat. Plötzlich steht die Frage ganz deutlich im Raum und lässt keine Ruhe. War das gerade Gesehene nun Fakt oder Fiktion?