Wer sich in den letzten 6 Jahren in Zürichs Theaterlandschaft bewegt hat, konnte wie unter einem Brennglass beobachten, wie aus lange und kontrovers diskutierter Theorie innerhalb kürzester Zeit Praxis
wurde. Ein gut funktionierendes System (mit verschiedenen, etablierten und wertgeschätzten Positionen) löst sich auf und wird überschrieben von drei neuen, progressiven Leitungs- und Theatermodellen. Drei Leitungswechsel an den grössten Theaterhäusern, wirbelten Zürichs Kulturlandschaft herum.
Wo vorher Castorf und Pollesch gastierten und ein Ensemble aus «Stars», das Publikum im Pfauen und im neuen Schiffbau verzückte, wenn es die Visionen der grossen Regie-Positionen umsetzte, herrscht nun ein erweiterter Ensemble-Begriff, eine verpflichtende Entscheidung für Zürich als Arbeitsmittelpunkt und ein Anspruch an Transdisziplinarität und Kollaboration, der nicht nur die Struktur, sondern auch die daraus hervorgehende Kunst beeinflussen soll.
Wo sich ein erfahrenes Publikum im Herzen der Stadt auf eine stabil experimentelle lokal verankerte freie Szene verlassen konnte und zudem die angesagtesten Schwergewichte des internationalen Festival-Zirkus vorgesetzt bekam, herrscht nun Offenheit, das Kollektiv, geben Zyklen den Produktionsrhythmus vor und werden aktivistische Positionen in den Fokus gerückt.
Und last but not least wird dort, wo man sich schon immer als kleinste und somit unangreifbarste Institution im Reigen der «Grossen» sah, wo die Intimität zur Kür erhob wurde, wo man auf eine konservative Art formal frech sein durfte und doch im besten Sinne immer einfach Theater produzierte; nun die Einheitsgage und eine kleine Strukturrevolution zelebriert. Es wird gespielt aber eben auch gestritten und geliebt und das kleinste Vier Sparten Haus der Welt ausgerufen. Die Theorie wird zum Spielfeld erklärt und «Theater» eher den anderen überlassen.
Zürich ist 2019 ein Labor der Mutigen. Eine Spielwiese für die, die es anders machen wollen und es anders machen können, weil die Kulturpolitik die immensen zur Verfügung stehenden Mittel freigibt und sie in die Hände solcher Entscheider:innen legt, die ihre Leitungsstrukturen zur Kunst erheben und in ihnen den Motor sehen, den das Theater braucht, um sich selbst am Leben zu erhalten. «Seht her! Es geht auch anders!».
Sinnbildlich für diesen radikalen Wandel steht im September 2019 das neue Foyer im Pfauen. Keine rote, flauschige, bürgerliche Wohlfühloase mehr. Beton, Neonfarben und wilde Muster ziehen ein. Drum herum spriessen Spielpläne aus dem aufgewühlten Boden, die jeweils ein begleitendes Proseminar verdient hätten, um sich in ihnen zurecht finden zu können. Die Komplexität und Diversität der Formen und Akteur:innen wächst und mit ihr die Neugier auf das was da kommen mag.
Alexander Giesche stellt während des Eröffnungsfestivals des Schauspielhauses, in dem die neuen 8 Hausregie-Positionen ihre Lieblingsarbeiten vorstellen, «das Internet» in die Stadt: Ein nebliger Kubus, in
dem Sound und Farben hin und her wabern. Auch das ist sinnbildlich für die Atmosphäre dieses Labors. Bunt, etwas stickig, zelebriertes auf Sicht fahren, nicht wissend was vor einem liegt aber warm und
irgendwie ermutigend.