Wenn ich überlege, was alle Theatervorstellungen, die mich in meinem Leben begeistert haben,
gemeinsam haben; dann komme ich zu dem Schluss: Sie wirken aktiv folgenden Symptomen von
Individiuen in hochkapitalistischen Gesellschaften auf die eine oder andere Weise entgegen:
Apathie, Erschöpfung, Entfremdung, Egozentrismus, Gleichgültigkeit, Abstumpfung, Sinnverlust,
einem Gefühl von Leere. Großartiges Theater ist für mich ein Ritual bei dem Menschen sich üben
in einer Fähigkeit, die bei den täglichen Bemühungen möglichst zu funktionieren und nicht zu
verzweifeln eher hinderlich ist; - der es aber gesamtgesellschaftlich dringend bedarf: Empathie.
Weshalb brauchen wir mehr Empathie? Der kanadische Arzt, Sucht- und Trauma Experte Dr. Gabor
Maté beleuchtet in seinem Buch „Der Mythos des Normalen”, wie uns unsere modernen,
vermeintlich „normalen” Lebensbedingungen - von der persönlichen Ebene frühkindlicher
Prägungen bis hin zu unseren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systemen – kollektiv
traumatisieren1, da sie elementare Bedürfnisse der Spezies Mensch missachten.
Diese Bedürfnisse sind nach dem breiten Konsens aus der Psychologie wie folgt: Zugehörigkeit, Verbundenheit, Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben, Kompetenz, Vertrauen in die persönlichen und
sozialen Ressourcen, ein Gefühl von Sinn, Transzendenz.
Ein wichtiges Mittel auf dem Weg zu Heilung einer traumatisierten, bzw. von ihren Bedürfnissen
entfremdeten Gesellschaft, ist für Maté das Mitgefühl. Es geht, genauer gesagt um das Anerkennen
und Nachempfinden der Wunden, die, wie er schreibt, durch den Raubbau an der eigenen und der
kollektiven „menschlichen Seele“ entstanden sind. Empathie - „die Bereitschaft und Fähigkeit, sich
in den Zustand anderer Menschen einzufühlen” - wiederum ist Voraussetzung um Mitgefühl
empfinden zu können.