Was haben ein Sumpf, die Farbe Rot und eine chemische Reaktion mit der Erzählung eines Winterwaldes gemeinsam? Was eine Riesenschildkröte und Friedrich der Großen von Preußen mit der Schwerelosigkeit eines Astronauten, dessen abgehackte Sätze nicht zu verstehen sind? Sie bilden Szenen eines zeitgenössischen Theaters, das eine Form des Schnitt- und Montageverfahrens zur Herstellung seiner Bilder entwickelt hat. Es geht dabei weniger um den Vollzug erzählender Handlung als vielmehr um ein Fügen von Bildern, die viel Raum für die Erfahrung der Rezipient*innen+ bereitstellen, durch die Beteiligung ihrer Blicke und Vorstellungskraft überhaupt erst entstehen. Die beiden Aufzählungen beschreiben eine Szene einer Arbeit von Heiner Goebbels (Stifters Dinge*, Premiere 2007 im Théâtre Vidy, Lausanne) und einer von Robert Wilson (CIVILwarS), Premiere 1983 im Schouwburg Theater, Rotterdam). Die Beispiele stehen für eine Theatertradition, die sich abwendet von einer Hierarchie der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach der eine Narration, ein Regiekonzept zur Vermittlung einer Aussage, oder die Darstellung der Schauspieler*innen anderen Elementen des Theaters (Raum, Licht, Musik, Ton) übergestellt ist. Es ist eine Hin-wendung zu einer
Praxis der Gleichzeitigkeit zu beobachten und zur bewussten Trennung von Kausalitäten, wie der Deckungsgleichheit von Hör- und Sehbarem. An die Stelle von Repräsentation treten assoziative Bezüge und fügen sich in der Vorstellung Zuschauender zu Bildern. Doch was sind das für Bilder und wie können wir diesen Begriff des Bildes im Theater erfassen? Diesen Fragen möchte ich zu Beginn dieser Arbeit nachgehen. Nicht, um eine Definition des Bildes im Theater zu geben, sondern um aufzuzeigen, warum eine solche Definition nicht festzusetzen ist und welche Potenziale in der immanenten Offenheit des theatralen Bildes liegen. Zunächst werde ich dem Thema zugehörige theater- und kunstwissenschaftliche Diskurse streifen, die einen Trend des Theaters weg von einer der Linguistik entstammenden Struktur und hin zu einer neuen Bildlichkeit ('pictural turn') beleuchten. Das Bild generiert demnach aus sich selbst heraus Sinn und ist nicht mehr der Illustration von Sprache oder der Erklärbarkeit durch sie verhaftet. Um die Relevanz bilderproduzierender und - verschneidender Formen postdramatischen Theaters zu unter-suchen, werden anschließend Theorien zur Montage in Film und Theater aufgeführt, die die Wirkungsweisen eines fragmentierten und bildlichen Erzählens umreißen. Dies trägt zur Klärung der Frage bei warum Bilder, die Nicht-Kongruenz von Theaterzeichen und die Gleichzeitigkeit eigenständig 'handelnder' Bühnenmittel
mittlerweile zu den Sehgewohnheiten im zeitgenössischen Theater gehören. Hierzu eignen sich die Schriften Sergej Eisensteins und W.I. Pudowkins ebenso wie die Kinotheorie Gilles Deleuzes (Das Bewegungsbild). Letztere legt den Fokus auf eine Offenheit im Bildbegriff und in der kinematorgrafischen Wahrnehmung, die als Verknüpfung verschiedener Bewegungsmodi des Filmmediums, zu der Wahrnehmung einer Theatererfahrung* Parallelen aufweist. Die Verknüpfung der Theorie des Bewegungsbildes ist im Kontext poststrukturalistischen Gedankenguts einzuordnen. Ihre Einbindung in die Beschäftigung mit zeitgenössischen Theaterformen wie den oben erwähnten, erscheint mir besonders vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Bildern als Sinnproduzenten sinnvoll. Es werden hier Bilder und Assoziationsnetzwerke geschaffen, die nicht abbilden oder repräsentieren. Auf eine Art handelt es sich bei dieser Theaterform, deren Vorstellungsräumen in der Rezeption ihrer Zuschauer*innen stets in Bewegung und Veränderung begriffen sind, um ein Landschaftstheater, wie es bereits Gertrude Stein Ende des 20. Jahrhnderts thematisiert. Stein sprach sich gegen die Linearität von Narration und die Deckungsgleichheit der Zeichen mit dieser aus und plädierte für eine Gleichzeitigkeit der Mittel und somit ein gewissermaßen räumliches Bereitstellen von den zu lesenden Elementen eines Stücks. Zuletzt bleibt also die Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern Bild und Montage anstelle von Abbild und Linearität die Theatererfahrung erweitern. Man kann in diesem Theater von einem Verständnisraum sprechen, statt von einer Aussage. Was erzählt uns dieser Raum? Denn das Erzählen ver-schwindet nicht durch die Abwesenheit einer kontinuierlichen Erzählung.