In der ersten Woche meines Bachelor-Regie-Studiums an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg wurde ich aufgefordert, mir selbst einen Brief zu schreiben. Vier Jahre später wurde mir dieser Brief gemeinsam mit meinem Bachelor-Abschlusszeugnis überreicht. In diesem Schriftstück steht, dass mein größter Wunsch ist, ein Theater zu leiten. Seit nun mehr acht Jahren forme ich diesen Wunsch zu einem konkreten Bild.
Neben meiner Arbeit als Regisseurin und der Auseinandersetzung mit kollektiven Arbeitszusammenhängen beschäftige ich mich intensiv mit den bestehenden Strukturen des deutschsprachigen
Theatersystems. Die Entscheidung, in Zürich, das Masterstudium in Regie anzuhängen, war unter anderem damit verbunden, dass ich hier drei kollektiv-geleitete Theaterhäuser mit sehr unterschiedlichen Strukturen beobachten konnte. Ich wollte in Zürich sein, um das Theater Gessnerallee, das Theater Neumarkt und das Schauspielhaus Zürich aus der Nähe zu erleben. Während der letzten zweieinhalb Jahre habe ich von außen diese drei Institutionen beobachtet und mich innerhalb meines Studiums in Theorie und Praxis intensiv mit Institutionskritik beschäftigt. Mit diesen Erkenntnissen und in intensivem Austausch mit meinem Kollegen Fynn Malte Schmidt entstand schließlich das Vorhaben, uns am Ende unseres Studiums für die Leitung eines Theaters zu bewerben.
Hier kommt nun das Theaterhaus Jena ins Spiel: das einzige deutschsprachige Stadttheater, welches als Experimentierraum und Talentschmiede für junge Theaterschaffende gilt. Das Theaterhaus Jena ist ein Ensembletheater in Thüringen, wird mit offiziellen Geldern finanziert und ist somit Teil des Stadttheatersystems. Jedoch einmalig ist, dass das Theaterhaus alle vier bis sechs Jahre die Position der künstlerischen Leitung explizit für Kollektive ausschreibt, auch ohne bisherige Leitungserfahrungen. Seit der Wende ist das Theaterhaus Jena eine gemeinnützige GmbH, welche sich für kollektive Leitungsprinzipien starkmacht.
Bevor ich unser Leitungskonzept vorstelle, möchte ich zu Beginn dieser Untersuchung die Frage stellen „Warum eigentlich Theater?“. Dieser Frage gehe ich in Kapitel 2 unter anderem im Dialog mit dem Essay von Jakob Hayner „Warum Theater – Krise und Erneuerung“ nach. Seine These lautet, dass das Theater in einer Krise steckt und diese nur überwunden werden kann, wenn wir nicht mehr nur versuchen, das Theater immer und immer zu erneuern, sondern wenn wir uns ernsthaft die Frage stellen, warum wir das Medium Theater wählen. „In allen Debatten um die Zukunft des Theaters ist diese Frage eigentümlich abwesend.“
Innerhalb dieser Masterarbeit möchte ich nun die Frage beantworten, warum ich Theater mache, da ich mir diese Frage während meiner gesamten Ausbildung bisher nicht gestellt habe. Um die Thesen von Jakob Hayner nachvollziehen zu können, habe ich mich mit „Der leere Raum“ von Peter Brook beschäftigt, auf welchen sich Hayner in seinem Essay mehrmals bezieht. Brook und Hayner zeigen beide auf, dass der Ausruf der Krise des Theaters nichts Neues ist und auch der Wunsch nach Erneuerung sich innerhalb des Theaters über Jahrhunderte hinweg immer wieder wiederholt. Nachdem ich Peter Brooks Ansätze skizziert habe und mir kritisch das Essay von Hayner betrachte, werde ich zum Schluss des zweiten Kapitels selbst die Frage „Warum Theater?“ beantworten.