«Dann eiterten meine Beulen im Hirn aus lauter Trostlosigkeit, aus lauter Verkommen, aus lauter Schmachten nach Leben, das sich ohne mich abspielte, irgendwo da, wo die Männer waren, die Männer, ich nicht. Und so fehlte es, so fehlte es immer an irgendwas, wenn die Männer da waren, war da kein Platz für die Kinder, weil die Männer, ja, sie brauchen so viel Aufmerksamkeit und eifersüchtig waren sie auch und ihre Mahlzeiten wollten sie und ihre Portion Liebe – ohne Kinderaugen, die sie irritiert und verheult anstarrten, während sie sich ihre Portion Liebe abholten.« (Haratischwili, 2012, S.21)
Dieses Zitat stammt aus dem Stück «Die zweite Frau» von Nino Haratischwili, was sie 2012 veröffentlicht wurde.
In meinem Studiojahr am Schauspielhaus Zürich begegnete mir im Februar 2019 genau jenes Stück, was in einer Produktion unter der Regie von Maximilian Enderle seine Schweizer Erstaufführung finden sollte.
In der folgenden Arbeit werde ich unter anderem dieses Stück analysieren, doch nur um Folgendes vorweg zu greifen:
1 Stück, 3 Frauenrollen, ein immer wiederkehrendes Thema: Männer
Laura, Ehefrau und Mutter, die den Haushalt führt, lebt mit ihrer pubertären Tochter Agnes und ihrem oft abwesenden Mann Alexander zusammen. Als Laura an Krebs erkrankt, von dem sie ihre Familie nichts erzählt, stellt sie die Haushälterin Lena ein, die ihren Platz einnehmen soll nach ihrem Tod.
Ich durfte in der Inszenierung von Maximilian Enderle am Schauspielhaus Zürich die Rolle der Agnes spielen und fragte mich während dieser Arbeit zunehmend, warum die junge Autorin Nino Haratischwili, die 1983 in Georgien geboren wurde, ein Stück schreibt, in dem sehr abhängige und in Ansprüchen gefangene Frauen auf klischeehafte Männerrollen treffen. In nahezu jeder Szene ging es um Männer oder um den einen Mann und die Frau in Beziehung zu diesem Mann. Es ging schon so weit, dass man sagen könnte, dass der im Stück nie auftretende Vater die vierte Rolle im Stück ist.
Und dennoch lässt sich nicht sagen, dass dieses Stück veraltet oder sexistisch ist oder dass diese Frauenrollen schwach sind. Nino Haratischwilis Text und auch die Arbeit mit der Regie schaffte es, dass ich heute überzeugt davon bin, dass das Stück starke Frauenbilder zeigt. Meine Fragestellung dabei ist, inwiefern sich die Frauen in dem Stück von Nino Haratischwili über ihre Geschlechteridentität ermächtigen und wie das passiert? Zudem wird herausgestellt, welche Mittel die Autorin nutzt, um eine solche Ermächtigung zu zeigen.
Es ist doch so, wer bestimmt, wer oder was wir sind, wenn nicht Sprache. Denn Sprache formt Realität.