Alles – gleichzeitig: Das schmelzende Eis vor Grönland, das Ergrünen der Sahara, der
tauende Permafrost in Sibirien, der chaotische Rhythmus des Monsuns im indischen
Meer, das Ahrtal, die Bienen, die Weissweinfelder auf Rügen. Die Krise ist nicht mehr
zu übersehen, wir müssen sie nicht einmal beim Namen nennen. So leben wir.
Trotz allem: Es bleibt eine Krise des Anderen, der Natur, die Krise einer Sphäre, die
abgetrennt ist von der Kultur menschlichen Lebens, deren Verlust begriffen, aber
doch nicht mit dem eigenen Leben in Verbindung gebracht wird. Kultur und Natur:
immer noch zwei Welten. Natur, das ist vielleicht etwas Schützenswertes,
Erhabenes, hat Seltenheitswert, eignet sich für Ausflüge – und bleibt darin doch stets
ein Objekt. In dieser grössten Lüge liegt vielleicht verborgen, warum so
unbegreiflich ist, was eigentlich geschieht, wenn Kipppunkte erreicht werden, die
Bäume der Städte verdorren und wochenlang Sommerhitze Humus zu unwirtlichem
Dreck erstarren lässt: Es ist der eigene Tod, der Tod von Menschen – ein nicht mehr
blühender Kirschbaum ist nichts anderes als das eigene, eingehende Leben. Ist es
doch schliesslich eine Lüge der Unverbundenheit. Die Wahrheit ist der Stoffwechsel,
in der Schule gelernt, der Austausch von Materie zwischen allen Arten, das
Verspeisen eines Apfels und irgendwann die Rückführung des Verdauten in einen
globalbiologischen Kreislauf. In Wahrheit befindet sich alles im Austausch, in
subjektiver Resonanz und die Vorstellung, aus dem Nicht-Menschlichen Objekte der
Unterwerfung zu machen, dient nur ihrer Warenförmigkeit. Mit der ironischen
Kosequenz, dass diese Warenförmigkeit zuguterletzt das System zerstört, das sie
erfunden hat. Erst, wenn das, was Natur ist, kein Ding mehr, sondern als Teil des
Eigenen begriffen wird, wird deutlich, was auf dem Spiel steht. Und ja – es steht
schon jetzt auf dem Spiel. Ist die Aufrechterhaltung der Trennung doch ein Privileg
derjenigen, die den eigenen Tod noch nicht erlebt haben.