Herrschten für die Theater goldene Zeiten, könnten sie sich das Verführungsprinzip von Kalle aus
Dani Levys Spielfilm «RobbyKallePaul» von 1989 zu eigen machen: Dastehen wie ein Magnet und
sie kommen lassen. Doch falls das Theater je diese Anziehungskraft besessen haben sollte, so ist sie
in unseren Breiten dahin. Die Theater müssen um ihr Publikum kämpfen. Und häufig erwecken sie
den Eindruck, sie wüssten nicht wie. Mit Schulterzucken vorgetragene Sätze wie «Wir machen
doch vor jeder Vorstellung eine Einführung» oder «Wir machen schon doppelt so viele Publikumsgespräche
wie früher» sollen redliches Bemühen bekunden. Jedoch zeugen solche Aussagen auch
von einer gewissen Unterkomplexität in der Analyse der Situation. Denn die Aufgabe besteht nur
noch zu einem kleinen Teil darin, einem zuverlässig und willig anrückenden Publikum das eigene
Wirken näher zu bringen und gegebenenfalls zu erläutern. Es muss vielmehr darum gehen, einem
sich rasant verändernden Umfeld und einem Wandel der Bevölkerungsstruktur gerecht zu werden.
Das kann und muss auch bedeuten, Bevölkerungsgruppen, die den hochkulturellen Habitus nicht
«mit dem Breilöffel» verabreicht bekamen, Wege ins Feld des Theaters zu ermöglichen. Für die
Theater ist dies ein Make-or-Break-Moment. Denn wenn nicht grosse Publikumsgruppen hinzu
gewonnen werden, die für «ihr Theater» zu kämpfen bereit sind, reicht als Handlungsanweisung in
Zukunft: «Der Letzte macht das Licht aus.» Höchste Zeit herauszufinden, aus welchen Distanzen
und Perspektiven diese potentiellen Zuschauerinnen und Zuschauer das Theater wahrnehmen und
welche Hilfen und Hindernisse an ihrem Weg ins Feld des Theaters bestehen.