Das Thema „Einwanderung" ist heutzutage in Deutschland, in Österreich und in ganz Europa aktueller denn je. Durch die derzeitigen Flüchtlingsdebatten und die Angst der Bevölkerung vor Islamisierung und Gewaltverbreitung in Europa können solche Parteien wie beispielsweise die „AfD“ und „Front National“ immer mehr Wähler gewinnen.
Als Schauspielerin und Künstlerin frage ich mich an dieser Stelle, wie wir Schauspieler auf solche politischen Debatten reagieren können. Unsere Aufgabe besteht normalerweise darin, dass wir die von Regisseuren und Theatern verlangte Arbeit erfüllen, indem wir uns die Rollen zu Eigen machen und sie auf der Bühne präsentieren. Wir agieren dort in einem „Kunstkasten“, in dem es zwar möglich ist, für ein paar Stunden Missstände und Schicksale aufzuzeigen, aber gleichzeitig können dadurch keine Veränderungen im echten Leben und in der Gesellschaft vorgenommen werden. Im Idealfall sollen natürlich durch das Theater Debatten angestoßen werden, die von Medien und Presse aufgegriffen werden und zu denen der Zuschauer ebenfalls eine Stellung bezieht. Trotzdem geht es bei diesem Kunstkasten – nicht zuletzt auch durch die Theater bedingt, die ihr Stammpublikum nicht verlieren möchten – hauptsächlich um Unterhaltung. In diesem Kontext erscheint es sinnvoll, bei einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema folgende Fragen zu stellen: Wie können Schauspieler und Regisseure aktiv aus dem Kunstkasten“ hinaustreten und zum politischen Geschehen beitragen? Welche ausschlaggebenden Projekte und Inszenierungen haben diesen Sprung bereits geschafft?
Ein bedeutender, vielleicht der bedeutendste, Künstler der 80er bis 2000er Jahre, der die Konfrontation mit Presse, Öffentlichkeit und bekannten Politikern nicht gescheut hat, war Christoph Schlingensief.
Wodurch hat er eine so große politische Brisanz erreicht? Warum waren seine Aktionen überhaupt politisch? Mit welchen Mitteln sorgte Schlingensief für Empörung? Was entstand, indem er Zuschauer aktiv mit ins Geschehen einbezog? Zuletzt aber auch, was wollte Schlingensief grundsätzlich erreichen – und ist es ihm gelungen? Als Schauspielerin reizt mich die Frage, wie sich die schauspielerische Arbeit mit Schlingensief gestaltete, weil Schlingensief nicht als „Schauspieler-Regisseur“ galt. Welche Funktion kann man als Schauspieler haben, wenn man mit einem Regisseur arbeitet, der das Theater nicht mehr als klassisches Theater wahrnimmt und inszeniert? Was kann man aus seinen Arbeiten für sich selbst mitnehmen, besonders aus schauspielerischer Sicht? Mich interessiert ebenfalls das Spannungsverhältnis, das entsteht, wenn der Regisseur einerseits sich selbst und anderseits aktuelle Geschehnisse in den Mittelpunkt rückt. Wo bleibt dabei der Schauspieler? Das Spiel mit dem Unvorhergesehenen war großer Bestandteil von Schlingensiefs Inszenierungen. Inwiefern muss man als Schauspieler umdenken, um sich auf so eine Arbeitsweise einzulassen? Wo liegen dabei Schwierigkeiten? Muss man als Schauspieler gewisse Abstriche machen, um sich einem großen politischen Ganzen zu widmen? Dies gilt es zu untersuchen. Mit dem Versuch, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, werde ich im Folgenden Christoph Schlingensiefs Projekt Bitte liebt Österreich-erste europäische Koalitionswoche und Hamlet in Bezug auf Thema, Inhalt und Vorgehensweise tiefergehend untersuchen.